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Sag', Walter, wie hältst Du's mit der Demokratie?Von Stefan Schmöe / Fotos: Kisten NijhoffRichard Wagners Meistersinger-Nürnberg ist eine utopische Künstler-Demokratie, für die letztendlich weniger die historische Reichsstadt Modell gestanden haben dürfte als die Stadtstaaten der griechischen Antike, Keimzellen der europäischen Demokratie. Das antike Theater als der Ort, an dem politische Fragen künstlerisch verhandelt wurden, dient daher durchaus passend als Grundelement für die Inszenierung von David Pountney, die im Oktober 2021 herausgekommen ist und damit den zweitjüngsten Beitrag zu den Festtagen "Wagner 22", der Aufführung aller dreizehn Opern Richard Wagners, liefert. Auf den halbkreisförmig ansteigenden Stufen (Bühnenbild: Leslie Travers) lassen sich zudem prima Chor und Zusatzchor (klangvoll, in der Prügelfuge im zweiten Aufzug nicht präzise genug) postieren. Und die mit liebevoll genauer Personenführung ziemlich brav dem Libretto folgende Regie ist immer als Theater auf dem Theater erkennbar. Nürnberg (mit Stolzing) als Modell innerhalb des antiken Theaters: Beginn des ersten AufzugsAlt-Nürnberg gibt es auch, als komprimiertes Modell in Holz. Jedenfalls im ersten Akt; im dritten, nach der nächtlichen Prügelei zwischen gespenstischen Gestalten in den Reichsfarben schwarz, weiß und rot, sieht man auf dem Dach der anheimelnd historisierenden Schusterstube ein Modell des kriegszerstörten Nürnberg. Pountney bringt die fatale Wirkungsgeschichte der Meistersinger in Erinnerung, freilich so dezent, dass darüber hinwegsehen kann, wer sich eine unbelastete Inszenierung wünscht. Dazu tragen die Meistersinger einigermaßen historisierende Kostüme (Marie Jeanne Lecca) - und Barette, wie Richard Wagner ja auch gerne eines getragen hat. Und wenn in der antiken Idealvorstellung der Philosoph an der Spitze des Staates stand, war das in Wagners Übertragung der Künstler und idealerweise gleich er selbst. Lauter Wagners also als höchste kulturelle und moralische Instanz: Pountney inszeniert nicht nur hier mit mancher ironischen Spitze. Beckmesser Im Finale auf der Festwiese ist das zerstörte Nürnberg weggeräumt, dafür steht jetzt der Berliner Reichstag auf der Bühne, in Holz, aber mit der schlanken Kuppel Norman Fosters aus dem Jahr 1999 - also in der gegenwärtigen Form. Hans sachs' finales Hohelied auf die Deutsche Kunst, die in Krisenzeiten die Nation zusammenhalten mag, wird folglich umgedeutet in eines auf unsere aktuelle Demokratie, und der forsche Walther von Stolzing muss sich zuvor entscheiden, ob er dieses Gebäudemodell als Podium betritt, ob er also beim Wort genommen auf dem Boden der Demokratie sein Preislied singt, oder unpolitisch auf Teilhabe an der Meistersingerkultur dauerhaft verzichtet. Dem Briten David Pountney nimmt man diesen keineswegs unpathetischen Außenblick auf deutsche Befindlichkeiten ab. Wobei er auch das in der Schlusspointe ganz charmant noch einmal unterläuft, wenn im demonstrativ dick aufgetragenen allgemeinen Versöhnen a la "alle Menschen werden Brüder" (wobei Beckmesser fehlt) Eva dieses ganze Theater zu viel wird und sie fluchtartig die Bühne verlässt, allein. Der im Eilverfahren etablierte Neumeistersinger Stolzing hat mit der Verbürgerlichung umgehend seine Attraktivität verloren. Schusterstube, darüber das Modell des kriegszerstörten NürnbergIn Beckmesser kann man insbesondere im ersten Aufzug einen jüdischen Gelehrten erkennen. Er ist auf jeden Fall der Außenseiter, auch der scharfsinnige Denker unter den eher bräsigen Meistersingern. Pountney lässt in der Schwebe, ob dieser Beckmesser an seiner künstlerischen Inkompetenz oder an der bösen Intrige scheitert. Damit umschifft die Regie die antisemitischen Klippen der Oper, ohne allzu konkret Stellung beziehen zu müssen, aber auch, ohne die Problematik gänzlich zu überspielen. Auch hier überlässt er die Auseinandersetzung mit dem üblen historischen Kontext dem Publikum. Pountney serviert sozusagen Denkanstöße als Beilage zum eher konventionellen Meistersinger-Menü. Das ist bei Weitem nicht so raffiniert wie Barrie Koskys Bayreuther Inszenierung, die Maßstäbe gesetzt hat, aber allemal stringenter und schlüssiger als Jossi Wielers brandneue Version an der Deutschen Oper Berlin. Stolzing wird, vor dem Modell des Berliner Reichstags sitzend, zum Meistersinger ernannt Musikalisch allerdings kann die Leipziger Oper an diesem Abend nicht mit der Berliner Konkurrenz mithalten (und auch nicht mit dem eigenen Tristan zwei Tage zuvor). James Rutherford gibt einen soliden, etwas altväterlichen Sachs, dem es in den entscheidenden Momenten etwas an Durchschlagskraft fehlt. Magnus Virilius singt den Stolzing mit hellem, etwas engem Tenor; vom Timbre würde das besser zur Figur des David passen; mit der auch vokal jugendlichen Erscheinung passt er immerhin gut in die Rolle des ziemlich unbedarften Newcomers, der noch viel lernen muss (dabei aber Kraft und Höhe für das Preislied durchaus besitzt). Als David sprang kurzfristig Dan Karlström mit leichtem Tenor für den erkrankten Matthias Stier ein und löste die Aufgabe ganz passabel. Grandios singt Matthias Hausmann einen stimmlich schlanken, sehr genau phrasierenden und ungemein präsenten Beckmesser. Elisabet Strid ist eine auch stimmlich attraktive, leicht entflammbare, gelegentlich etwas angestrengte Eva, Kathrin Göring eine verlässliche Magdalene. Recht unscharf bleibt der Pogner von Sebastian Pilgrim. Der scheidende Intendant und Chefdirigent Ulf Schirmer gibt sich mit dem ausgezeichneten Gewandhausorchester detailverliebt, zeichnet die Motivik sorgfältig und eher kleinteilig nach, immer eng auf den Text bezogen. Konnte man eine Woche zuvor in Berlin unter der Leitung von John Fiore eine elegant strömende Interpretation hören, so liefert Schirmer den erdverbundenen, handfesten Gegenentwurf - Schirmers Meistersinger sind eben doch Handwerker, bei deren Motiv jeder Ton einen Akzent erhält, bei denen dadurch auch schnell latent der Marschrhythmus mitklingt (was die Regie im Festwiesen-Finale dann auch konkret aufgreift). Auch wenn diese Interpretation in sich stimmig ist: Ein wenig mehr Sommernachtszauber, auch ein wenig fließendere Tempi täten den Meistersingern dann doch gut.
David Pountneys amüsante und publikumsfreundliche Inszenierung liefert die Schattenseiten des Werkes quasi als Fußnote, das ist nicht der schlechteste Ansatz und allemal repertoire- und festtagstauglich. Musikalisch nicht auf allerhöchstem Niveau, aber doch recht ordentlich. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig
Eva
Magdalene
Hans Sachs
Veit Pogner
Kunz Vogelgesang
Konrad Nachtigall
Sixtus Beckmesser
Fritz Kothner
Balthasar Zorn
Ulrich Eißlinger
Augustin Moser
Hermann Ortel
Hans Schwarz
Hans Foltz
Walther von Stolzing
David
Nachtwächter
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