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Gottes bester Mann auf ErdenVon Stefan Schmöe / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater Erfurt![]() Elias (rechts) und Obadjah sinnieren - hier im besetzten Paris auf der Flucht vor den Nazis, die man gerade nicht sieht - über den planmäßigen Aufbau einer Religion
Du sollst Dir kein Bild machen? Kaum ein Regisseur dürfte sich weniger an ein Bilderverbot halten wollen als Jürgen R. Weber. Und so sehen wir Gott - oder besser JHWH, die hebräische Form für "Jahwe" - ganz selbstverständlich auf der Bühne. Es handelt sich um einen älteren, aber durchaus rüstigen Herrn. Weißer Anzug, weiße Schuhe, rosa Poloshirt (das am Bauch etwas spannt), Rauschebart, meistens eine Maske. Auf dem Besetzungszettel stehen hinter dem Rollennamen JHWH nur kryptischen Punkte. Aber wer anderes wäre geeignet, im Jürgen R. Weber-Universum Gott zu verkörpern, als Jürgen R. Weber persönlich? Eigentlich hätte der Wagners Ring des Nibelungen inszenieren sollen, auch so eine Göttergeschichte, aber nach einem fulminanten Rheingold war Schluss mit dem kostspieligen Projekt. Stattdessen steht jetzt Elias auf dem Programm, Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartholdy nach Worten des Alten Testaments. Ein Werk, das sich derzeit häufiger szenischen Realisationen auf der Theaterbühne erfreut, so etwa zuletzt in Krefeld. ![]() Wunder wie die Wiedererweckung eines verstorbenen Knaben gehören für das Regieteam in das Spannungsfeld zwischen Biedermeier und Aufklärung
Dieser JHWH ist offenbar verheiratet mit einer Dame namens Aschera. Das verweist auf die Verehrung einer weiblichen Gottheit namens Ascherain der Frühzeit des Judentums. Doch Aschera kommt alsbald tragisch ums Leben, eine Art Betriebsunfall, wenn ein Feuer vom Himmel den wahren Gott zeigen soll. Eine zusätzliche weibliche Gottheit wäre mit der Idee von einer monotheistischen Religion, die sich gegen den Baal-Kult durchsetzen soll, nicht gut zu vereinbaren. Ziemlich viel schräger Humor also. Weber und sein Team (Bühne: Hank Irwin Kittel, Kostüme: Tristan Jaspersen, Video: Gretchen fan Weber) bringen den alttestamentarischen Stoff in der für sie typischen Bildsprache als comicartige Revue auf die Bühne. Diese erzählt in mächtigen Sprüngen von den Anfängen des Judentums über die Epoche Mendelssohn-Bartholdys (in der die Episode mit der Wiedererweckung eines verstorbenen Kindes durch Elias angesiedelt ist) und die NS-Zeit (Elias flieht in das von deutschen Truppen besetzte Paris) bis in eine unbestimmte Zukunft, in der Aschera wieder auferstanden und die Religion vielleicht stärker weiblich geprägt sein wird. ![]() Ist die "richtige" Religion die mit den spektakulärsten Gotteserscheinungen? Die kinderverspeisende Baal-Statue protzt vor allem mit Virilität. In der Mitte König Ahab und Elias.
Der Prophet Elias ist ein junger Mann, der zunächst im Lendenschurz, später in Trecking-Klamotten auftritt. Er wird misshandelt und fährt am Ende auf der goldenen Bundeslade spektakulär in den Himmel auf. Johannes Schwarz singt ihn mit jugendlich vitalem Bariton sehr eindrucksvoll. Zur zweiten Hauptrolle aufgewertet ist die Partie seines Anhängers Obadjah (mit klangschönem lyrischem Tenor: Tristan Blanchet). Gemeinsam schmieden die beiden handfeste Pläne zur Etablierung der jüdischen Religion, was sie auf einer thoraartigen Papierrolle auch gleich schriftlich festhalten. Nur weicht der oft im Affekt handelnde Elias gerne von diesem Plan ab, was den strategisch denkenden Obadjah gehörig nervt. Aber lässt sich eine Religion überhaupt planen? Die Wiedererweckung des verstorbenen Knaben erfolgt womöglich mit wissenschaftlichen Methoden und könnte ein Produkt der Aufklärung und weniger ein Wunder sein. Manche Aspekte ändern sich freilich nie. Elias' ewige Widersacher, König Ahab und Gattin, bewegen sich als bunte Puppen durch die Zeiten. Die kinderverspeisende Baal-Statue zeigt mit extrem durchtrainierter Brustmuskulatur einen kraftstrotzenden Männlichkeitskult. Engel sind keineswegs zart, sondern flauschig aufgeplustert oder riesige Embryonen. Kurz: Es geht mitunter ziemlich unübersichtlich zu. ![]() Elias fährt mit der Bundeslade in den Himmel auf.
Die tragende musikalische Rolle hat der Chor, der in seinen Phantasiekostümen neben blutroten Kleidungsteilen Netzstrümpfe und -hemden sowie Lackgürtel und -stiefel trägt und häufig von den Aufgängen des Zuschauerraums aus singt. Man wäre also nicht überrascht, diese Leute im Folterkeller einer Domina anzutreffen. Der üppige Chorklang mit opernhaftem Vibrato trifft nicht unbedingt das klangliche Ideal dieser Musik, entspricht aber dem opulenten theatralischen Gestus der Aufführung. Mitunter wirkt der Chor etwas schwerfällig gegenüber dem straffen, rhythmisch federnden Dirigat von Roland Böer, der die Dramatik zuspitzt, aber mit flotten Tempi trotzdem Leichtigkeit und Eleganz bewahrt. Das Philharmonische Orchester Erfurt setzt diesen Ansatz mit schlankem Klang sehr schön um und verbindet dramatische Kraft mit Transparenz und einem manchmal fast tänzerischen Esprit. Opernhaftes Timbre zeigen auch die meisten der durchweg guten Solistinnen und Solisten, was vor allem in den klein besetzten Ensembles wie dem populären Satz "Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten" gewöhnungsbedürftig ist, aber in der ohnehin mit viel Ironie unterlegten Gesamtanlage der Produktion durchaus passt. An Besinnlichkeit ist dem Regieteam jedenfalls nichts gelegen. Hervorgehoben sei dennoch der glasklare Knabensopran von Ineke Albus. ![]() Was bleibt? Obadjah (in blau) steht als neuer Religionsführer inmitten eines für die Inszenierungen von Jürgen R. Weber typischen Reigens an schrillen Gestalten. Die Embryonen sind, so kann man im Programmheft nachlesen, Verkörperungen von Engeln.
Während der erste Teil des Oratoriums durchaus dramatische Momente aufweist (insbesondere der Konflikt mit den Baal-Priestern), rafft der zweite vor allem am Ende das Geschehen knapp zusammen, was es der Regie schwer macht, eine Opernhandlung hinzuzuerfinden. Es gibt jede Menge spektakulärer wie verwirrender Bilder zu sehen, und diese Bilder drohen, sich zu verselbstständigen. Dabei wird es allerdings zunehmend schwierig (und auch ein wenig ermüdend), den Überblick zu behalten. Dass Elias noch einmal zurückkehrt und für seine Religion kämpft, scheint redundant - haben wir das nicht alles schon gesehen? Es bleibt ziemlich unbestimmt, wie dieser Elias ("Gottes bester Mann auf Erden", wie es im Programmheft heißt) letztendlich einzuordnen ist. Der Stratege Obadjah steht derweil als nächster Prophet bereit. Das wirkt beinahe ein wenig klischeehaft; man hat solche Geschichten auf der Opernbühne schon häufiger erlebt. So fehlt der Produktion eine wirklich zwingende Schlusspointe, die das unterhaltsame Spektakel zusammenhält. FAZIT Die sehr achtbar interpretierte Musik kann kaum mithalten mit dem atemlosen, comichaft grellen Bilderbogen, der die Geschichte der jüdischen, indirekt damit auch der christlichen Religion hinterfragt. Was einen flotten Theaterabend garantiert, bei dem die Grenzen zwischen großen Gedanken und banaler Albernheit fließend verlaufen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Elias
Sopran / Engel
Sopran / Engel
Alt /Aschera
Alt / Königin
Tenor / Obadjah
Tenor / König Ahab
Bass
Eine Witwe
Ein Knabe
JHWH
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