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Musikfestspiele
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Ausstellungskatalog-Vergrößerung

27. Tage Alter Musik in Herne
13. - 17. November 2002

Festspielbericht

Von Markus Brudereck, Ingo Negwer und Gerhard Menzel



Ausstellung: Anna Magdalena Bach

Die 27. TAGE ALTER MUSIK IN HERNE präsentierten in diesem Jahr im Kulturzentrum Herne neben der Konzertreihe des WDR unter dem Motto "FRAUEN IN DER MUSIK - Werke vom Mittelalter bis zur Weimarer Klassik", eine Musikinstrumentenausstellung mit Neu- und Nachbauten von Streich- und Zupfinstrumenten in- und ausländischer Werkstätten mit dem Titel "TRUMSCHEIT UND LIRONE - VIHUELA UND VIOLE" und ein Symposium zum Thema "VIOLA DA GAMBA und VIOLA DA BRACCIO" in der Martin-Opitz-Bibliothek .

Einen ergänzenden Beitrag zum Thema 'Frauen in der Musik' lieferte das Bach-Archiv Leipzig mit der kleinen Ausstellung "Johann Sebastians Frau Liebste - Anna Magdalena Bach". In einem Quadrat aus vier Glasvitrinen wurden Abbildungen, Faksimiles und Noten präsentiert, die Stationen aus dem Leben der Anna Magdalena Bach (1701-1760), der zweiten Frau Johann Sebastian Bachs, nachzeichneten.


Das Symposium
VIOLA DA GAMBA und VIOLA DA BRACCIO

Die Gambe ist eigentlich ein unselbstständiges Instrument: Erst im Verbund mit anderen kommt ihr Charme und ihre Klangschönheit recht zur Geltung. Im Werkstattkonzert des Symposiums „Viola da Gamba – Viola da Braccio“ spielten die Damen des Ensembles „Les Escapades“ auf Gamben verschiedenster Größe und Stimmung. Im übervollen Saal der Martin-Opitz-Bibliothek hatten die Musikerinnen aus Karlsruhe auf Grund der Wärme nicht geringe Probleme mit der Stimmung ihrer Instrumente. Begleitet an Trommel und Tambourin von Günter Schulz-Reinfurt interpretierten sie mit feinem, wenig voluminösem Klang Consortmusik von Komponisten aus ganz Europa. Die Gamben laden, vielleicht mehr als andere Streichinstrumente, zu tempo- und verzierungsreichem Spiel ein. „Les Escapades“ stellten das mit Werken von englischen Komponisten wie Robert Johnson, Henry Purcell, Richard Mico und John Cooper unter Beweis, aber auch durch Stücke von Antonio de Cabezòn, Luys Milan und Giovanni Battista Riccio.

Das Interesse der aus ganz Deutschland und den Nachbarländern angereisten Wissenschaftler am Symposion über die Gambe war überraschender Weise ungewöhnlich groß. Dabei ist die Gambe, eine Vorfahrin unserer heute bekannten Streichinstrumente, von ihrem Wesen her nicht besonders spektakulär. Für die historisch adäquate Wiedergabe alter Musik ist sie heute unverzichtbar. Ihre Geschichte endet bereits zur Mitte des 18. Jahrhunderts: Weder fand sie den Weg ins Orchester noch existieren heute eine größere Anzahl von Instrumenten, die kunstgeschichtlich von bedeutenderem Wert sind. Christian Ahrens, Professor am Musikwissenschaftlichen Institut der Bochumer Ruhr-Universität, der auch in diesem Jahr wieder das Herner Symposium ausgerichtet hat, ist der Meinung, dass viele der oftmals umgestalteten Instrumente heute in neuem Licht gesehen werden müssen: "Wertlos sind sie vielleicht, wenn man sie sozusagen als reine Kunstobjekte betrachtet", räumt Ahrens ein. "Aber wenn man sie als Musikinstrumente nimmt, dann muss man natürlich zugestehen, dass Musikinstrumente im Laufe ihrer Geschichte und Nutzung Veränderungen unterworfen waren. Das ist die natürlichste Sache von der Welt. Und insofern lohnt es, sich mit diesen Instrumenten zu befassen. Der zweite Punkt ist, dass bisher eigentlich kaum versucht worden ist, die regionalen Bauschulen und Bautraditionen mal gegeneinander zu stellen und zu fragen: Wie wirkt sich das eigentlich auf den Klang aus."

Das Symposium im Vorfeld der diesjährigen „Tage alter Musik in Herne“ war vor allem wieder ein Treffen der Instrumentenbauer, die Konstruktionsdetails historischer Gamben erörterten und dabei die Ergebnisse ihrer oftmals fast detektivischen Forschungsarbeit präsentierten.

(Markus Brudereck)

Das TOURISTISCHES RAHMENPROGRAMM der TAGE ALTER MUSIK IN HERNE bot in diesem Jahr eine Exkursion zum Wasserschloss "Haus Kemnade" an, in dem sich die "Sammlung Grumbt" befindet. Diese Musikinstrumentensammlung wurde vor Jahren von den Besitzern Hans und Hede Grumbt dem Museum der Stadt Bochum geschenkt und umfasst historische Musikinstrumente verschiedenster Art.

Musikinstrumentensammlung Hans und Hede Grumbt - Zittern

Die "Musikinstrumentensammlung Hans und Hede Grumbt"

Beiträge von




Ev. Dorfkirche Stiepel Ev. Dorfkirche Stiepel

Im Anschluss daran führte der Weg zur nahe gelegenen Ev. Dorfkirche Stiepel. In der ehemaligen Marienwallfahrtsstätte, deren ursprünglicher Bau (ca.) 1008 errichtet und inzwischen mehrfach umgebaut worden ist, sind vor allem die 1952 freigelegten Wandmalereien aus dem 12. - 16. Jahrhundert von Bedeutung, die gerade restauriert werden.
Nach einer eindrucksvollen Vorstellung der Kirche und seiner Geschichte durch Klaus Zelm, wurde das Programm der Exkursion durch ein kurzfristig organisiertes, kleines Konzert abgeschlossen. Dabei musizierten Kantor Michael Göde auf der von Orgelbaumeister Harm Kirschner angefertigten Truhenorgel (der auch die neue Orgel der Dorfkirche bauen wird) und drei der in Herne ausstellenden Instrumentenbauer auf ihren selbstgefertigten Gamben (Gesine Liedmeier, Henner Haders und Tilman Muthesius).




Konzertprogramm-Vergrößerung

Die Konzerte

FRAUEN IN DER MUSIK
Werke vom Mittelalter bis zur Weimarer Klassik

Die neun, unter der Konzeption von Dr. Barbara Schwendowius stehenden Konzerte, fanden dieses Jahr nicht nur im Kulturzentrum der Stadt Herne und der benachbarten Kreuzkirche statt, sondern auch die nicht weit entfernte Kirche Herz-Jesu mit ihrer halligen (ausschließlich für kleine Besetzungen geeignete) Akustik wurde wieder einmal mit in den Kanon der Veranstaltungsorte aufgenommen.

Auch in diesem Jahr gab es wieder vier Live-Übertragungen auf WDR 3. Glücklicher Weise fanden nur zwei davon im Kulturzentrum statt, wo es in den letzten Jahren immer wieder zu kuriosen Pausenzeiten kam (sie reichten manchmal nur zum Hinaus- und sofortigen wieder Hineingehen aus!), wodurch zahlreiche Besucher - und auch die anbietenden Buch-, Noten- und CD-Händlern - tüchtig verärgert wurden. Immerhin hatte man darauf reagiert und in diesem Jahr - durch Pausenbeiträge im Radio - für genügend Pausenzeit gesorgt.

Ausschnitte der Konzerte aus dem letzten Jahr zum Thema ALLIANZEN – MUSIK UND POLITIK sind wieder als CD-Kassette (mit 4 CDs) erschienen und für 30,00 € beim Kulturamt der Stadt Herne zu beziehen.



Ritratti femminili - weibliche Portraits

Musica Fiorita:
Susanne Rydén, Gesang
Enrico Parizzi, Violine
Roberto Falcone, Violine
Rebeka Ruso, Viola da gamba
Dolores Costoyas, Theorbe

Daniela Dolci, Cembalo und Leitung

Unter dem Motto "Ritratti femminili - weibliche Portraits" stellte das Ensemble "Musica Fiorita" Musik von zwei Frauen vor, die beide zu ihrer Zeit künstlerisch und gesellschaftlich als Komponistinnen und Virtuosinnen hoch geschätzt wurden: die eine, Barbara Strozzi (1619 - 1677), in der Republik Venedig, die andere, Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre (1665 - 1729), in Paris und am Hof Ludwigs XIV. Beide hatten übrigens das Privileg, das sie ihre Werke drucken lassen konnten.

Außer ihrem op. 1 ("Sacri musicali affetti") und der Motette "Qui dabit mihi" komponierte Barbara Strozzi ausschließlich weltliche Vokalmusik. Sieben dieser Arien und Kantaten präsentierte die schwedische Sopranistin Susanne Rydén, begleitet vom Ensemble "Musica Fiorita". Obwohl ihre Stimme in der Tiefe ziemlich "körperlos" klang, wusste sie durch ihre glockenklare Höhe zu gefallen. Ihre Interpretation des ausdruckstarken Lamentos "Lagrime mie" mit seinen charakteristischen Dissonanzen und Verzierungen, gehörte zu den Glanzpunkten des Konzertes.

Dem großen Spektrum der Kompositionen von Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre konnte das Konzert verständlicher Weise nicht gerecht werden. Immerhin umfasst ihr umfangreiches Oeuvre neben Opern, Balletten und Kammermusik auch geistliche Kantaten, die sie - zusammen mit der Sonate - in Frankreich als neue Gattung etablierte. Etwas mehr, bzw. anderes als nur drei Sonaten - die zwar von der italienischen Musik der Zeit beeinflusst sind, ihrem Aufbau nach aber als suitenartige Fantasien gestaltet sind - wäre allerdings schon wünschenswert gewesen. Das Ensemble "Musica Fiorita" musizierte diese zwar insgesamt ordentlich und routiniert, allerdings etwas leidenschaftslos.

Sendetermin: Mittwoch, 8. Januar 2003, 20.05 Uhr, WDR 3

Susanne Rydén und Musica Fiorita



Gesänge hinter Mauern - Eros und Ecclesia
Solo-Motetten des 17. Jahrhunderts in italienischen Frauenklöstern

Ensemble Incantato:
Mona Spägele, Sopran
Lee Santana, Lauteninstrumente
Matthias Müller-Mohr, Gambe und Lirone
Detlef Bratschke, Orgel und Cembalo

Dem musikalisch-sozialen Umfeld der italienischen Frauenklöster im 17. Jahrhundert widmete sich das Ensemble "Incantato" mit Mona Spägele (Sopran), Lee Santana (Chitarrone, Laute), Matthias Müller-Mohr (Viola da Gamba, Lirone) und Detlef Bratschke (Cembalo, Orgel).

Die Werkauswahl, die "Incantato" dem Publikum im Herner Kulturzentrum darbot, belegt, dass das Bestreben von Kirche und Obrigkeit, die Nonnen mit ihren "Gesängen hinter Mauern" vom öffentlichen Leben fernzuhalten, misslungen war. Insbesondere die hochvirtuosen Solomotetten und Violinsonaten von Isabella Leonarda bewegen sich stilistisch ganz auf der Höhe ihrer Zeit. Auch die kontemplativ meditativen Kompositionen, wie Lucrezia Orsina Vizzanas "Usquequo oblivisceris me in finem?" ließen aufhorchen.

"Incantato" nahm sich dieser Raritäten kompetent und mit farbig kontrastreicher Continuo-Gestaltung an, wenngleich Zweifel angebracht sind, ob eine eher verhaltene Interpretation von Leonardas extrovertierten Violinsonaten (hier: "Sonata duodecima" aus op. 16) auf einer Viola da Gamba dem Werk noch angemessen ist.

Mona Spägele - an diesem Abend stimmlich nicht auf der Höhe - frönte mit ihrem klaren Sopran nicht dem puren Schönklang, sondern betonte die dramatischen Affekte in dieser - nicht immer ganz - geistlichen Musik, die stets auf dem schmalen Grad von "Eros und Ecclesia" wandert.

Sendetermin: Mittwoch, 15. Januar 2003, 20.05 Uhr , WDR 3

Ensemble Incantato



Ein Liederbuch für Isabella
Aus dem Notenbuch der Isabella d'Este, Markgräfin von Mantua,
1502 zusammengestellt von Ludovico Milliare

Musica Antiqua of London:
Clare Wilkinson, Sopran
Philip Thorby, John Bryan, Alison Crum, und Roy Marks, Viola da gamba
Jacob Heringman, Laute und Renaissance-Gitarre

"Musica Antiqua of London" stellte in Herne Musik vor, die um 1500 am Hofe der Isabella d'Este gepflegt wurde. Im Mittelpunkt dieses vom intimen Klang der Renaissancegamben geprägten Konzerts stand das im Oktober 1502 von Lodovico Milliare aufgezeichnete Repertoire. Hierin finden sich frühe Beispiele von Frottole und rein instrumentalen Fantasien, sogenannten Carmina, wie sie insbesondere im privaten Umkreis der Herzogin von Mantua gepflegt wurden. Neben Werken zumeist anonymer Meister erklangen u. a. Kompositionen von Johannes Ockeghem, Bartolomeo Tromboncino und Heinrich Isaac.

John Bryan, Alison Crum, Roy Marks und Philip Thorby gaben auf ihren fünfsaitigen Gamben, aber auch auf Blockflöten und Krummhörnern, trotz des für diese delikate Musik wenig geeigneten Kulturzentrums, einen nachhaltigen Einblick in die Hausmusik der Isabella d'Este. Clare Wilkinson gestaltete die vokalen Partien des Programms mit leichtem, unaufdringlichem Mezzosopran. Jacob Heringman setzte im Ensemblespiel auf der Renaissancegitarre rhythmische Akzente und konnte zudem mit ausgewählten Lautensoli überzeugen. Auf englisch führte Philip Thorby, der auch die musikalische Leitung inne hatte, durch das gelungene Programm.

Sendetermin: Mittwoch, 22. Januar 2003, 20.05 Uhr, WDR 3

Musica Antiqua of London:



Lebendiges Mittelalter
Liturgische und höfische Musik aus Frankreich
Ein Abend "unter romanischen Bögen"

Discantus, Paris:
Lucie Jolivet
Catherine Sergent
Brigitte Le Baron
Catherine Schroeder
Hélène Decarpignies
Anne Quentin
Christel Boiron

Leitung: Brigitte Lesne
Planctus Mariae

Gesänge der Christgeburt, der Marienklage und der Osterfreude präsentierte das Ensemble "Discantus". Im Zentrum standen dabei zwei liturgische Dramen des Mittelalters, in dem Frauen dem Leidensweg Christi bis unter das Kreuz folgen ("Planctus Mariae") und zuerst von der Auferstehung Christi berichten ("Resurrectio").

"Discantus", das französisches Sängerinnen-Ensemble, dem seit 1989 eine führende Rolle bei Wiederentdeckung der Vokalmusik des Mittelalters zukommt, bestätigte in diesem Konzert seinen exzellenten Ruf. Obwohl die einzelnen Stimmen sehr individuell gefärbt sind, bilden sie im Gesamtklang trotzdem ein homogenes Ensemble mit sehr präsenten Sopranen und abgerundeten Tiefen, die in den ständig wechselnden Besetzungen (ein- bis achtstimmig, sowie hohe und tiefe Stimmgruppierungen) eine große klangliche Variationsbreite boten, die nie das Gefühl von Monotonie aufkommen ließen.

Obwohl es im Programmheft detaillierte Erläuterungen zu den geistlichen Spielen und deren szenischer Umsetzung gab, wurde diese, die Pracht der kirchlichen Feier hervorhebende Gestaltung (leider) nicht realisiert.

Sendetermin: Samstag, 14. Dezember 2002, 20.05 Uhr, WDR 3

Discantus, Paris



Plus que dame
Eleonore von Aquitanien und ihr Hof in Musik und Dichtung der Troubadours

Eric Mentzel, Gesang
Bois de Cologne:
Dorothee Oberlinger, Flöte
Meike Herzig, Flöte
Tom Daun, Harfe

Im Nachtkonzert am Freitag geleiteten Eric Mentzel und das Ensemble "Bois de Cologne" ihr Publikum auf eine Reise quer durch das mittelalterliche Europa, der Spur der Eleonore von Aquitanien folgend. "Plus que dame" - mehr als eine Herrin war Eleonore. Von politischem Ehrgeiz, aber auch von ihrer Neigung zu Dichtung und Musik geprägt, heiratete sie den französischen König Ludwig VII. Troubadours folgten ihr an den Hof nach Paris und führten dort die noch junge Kunst des Minnelieds ein. Ihren Gatten begleitete Eleonore auch auf dem Kreuzzug in das Heilige Land, ließ sich aber später von Ludwig scheiden, um dann Heinrich II., König von England, zu heiraten. Eines ihrer insgesamt zehn Kinder war Richard Löwenherz, den sie noch überlebte, als sie 1204 hochbetagt starb.

Eric Mentzel und "Bois de Cologne" präsentierten in der Kirche Herz-Jesu Musik der Troubadours, in denen sich das bewegte Leben der Eleonore von Aquitanien spiegelte. Eric Mentzel sang die Lieder der Troubadours mit klarer Deklamation und leichter Stimmführung. Meike Herzig, Dorothee Oberlinger (Blockflöten) und Tom Daun (Harfe) bildeten ihm zur Seite ein homogenes, facettenreiches Ensemble.

Sendetermin: (live), Freitag, 15. November 2002, 22.00 Uhr, WDR 3

Eric Mentzel und Bois de Cologne




Am Weimarer Musenhof
der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar
Die Fischerin
Ein Singspiel von Johann Wolfgang von Goethe
in Musik gesetzt von Mlle Corona Schröter
Auf dem natürlichen Schauplatz
zu Tiefurth an der Ilm vorgestellt 1782

Reichardt-Ensemble
Dortchen - Ulrike Staude, Sopran
Ihr Vater - Ekkehard Abele, Bass
Niklas, ihr Bräutigam - Markus Schäfer, Tenor
Hammerklavier, Gerald Hambitzer
Michael Freimuth, Gitarre
Einstudierung: Hermann Max
Regie: Johannes Zametzer

Corona Schröter war die bedeutendste Hofsängerin des Weimarer Hofes ihrer Zeit. Vom späteren Thomaskantor Johann Adam Hiller gefördert (er erteilte ihr Unterricht in Komposition und Musiktheorie) bildete sie die Attraktion seines regelmäßig veranstalteten "Großen Konzerts", dem Vorläufer der "Gewandhauskonzerte". Ebenso wirkte sie bei den privaten Singspielaufführungen bei der Familie Breitkopf mit, an denen auch der junge Goethe teilnahm, der, wie die junge Sängerin Corona Schröter, gerade am Hof der Herzogin Anna Amalia von Weimar angestellt war. Zusammen mit diesem protegierten sie um 1780 das Singspiel als gesellschaftliche Unterhaltung und als Alternative zur italienischen Oper.

Gefördert von der klugen Herzogin, entstanden so Stücke, die den Weg "zurück zur Natur" wiesen, und das nicht nur vom Sujet her, sondern auch in Bezug auf den Aufführungsort: "Die Fischerin" wurde 1782 "auf dem natürlichen Schauplatze an der Ilm" gespielt.

Einen besonderen Aufführungsort (die Architektur konfrontiert alt mit neu) hatte man auch für diese Produktion im Rahmen der Tage Alter Musik in Herne gewählt: den Garten-Glas-Saal im Schloss Horst in Gelsenkirchen (für diese Veranstaltung wurde eigens ein kostenloser Bustransfers angeboten).

Das neugegründete Reichardt-Ensemble (Einstudierung: Hermann Max) mit den spielfreudigen und stimmlich präsenten Solisten Ulrike Staude, Ekkehard Abele und Markus Schäfer, sowie einem vierköpfigen Männerensemble der Nachbarn, die umsichtig von Gerald Hambitzer und Michael Freimuth begleitet wurden, erweckte damit 220 Jahre nach der Uraufführung und 200 Jahre nach dem Tod der Komponistin "Die Fischerin" mit der Musik Corona Schröters und dem Text von Johann Wolfgang von Goethe zu neuem, kurzen Leben.

Gleich zu Beginn wartet das Singspiel allerdings mit einer Überraschung auf: Dortchen singt die später so oft vertonte Ballade Goethes: "Der Erlkönig", die von Corona Schröter hier erstmals vertont wurde! Warum Dortchen diese beim Zubereiten der Abendmahlzeit aus einem Rezeptbuch singt, bleibt allerdings ein Rätsel in der sonst so einfach, aber wirkungsvollen Inszenierung von Johannes Zametze.

Obwohl auch vollständiges Orchestermaterial zu diesem Werk erhalten ist, erklang es hier nur in einer "Hausmusikfassung". Alles andere wäre für diese eher "hausbackene" Dichtung Goethes auch wahrlich zu aufwendig und zu teuer gewesen. Das Kennenlernen dieser "Jugendsünde" machte aber trotzdem Freude.

Sendetermin: Sonntag, 15. Dezember 2002, 20.05 Uhr, WDR 3

Die Fischerin (Markus Schäfer, Ulrike Staude, Ekkehard Abele)



Le cortegiane oneste
Francesca, Settimia und Lucia Caccini
Ein Abend um 1600 am Hof der Medici in Florenz

Tragicomedia:
Suzie LeBlanc, Sopran
Barbara Borden, Sopran
Dorothee Mields, Sopran
Milos Valent, Violine
Dasa Valentova, Violine
Peter Spissky, Violine
Erin Headley, Basso continuo
Alexander Weimann, Basso continuo
Paul O'Dette, Basso continuo
Maxine Eilander, Basso continuo
Stephen Stubbs, Basso continuo

Francesca Caccini "La Cecchina" (1587 bis 1645?), eine der herausragenden Sängerinnen und Komponistinnen des Barock, stand im Mittelpunkt des Konzerts am Samstagabend im Kulturzentrum. Das Ensemble Tragicomedia bot eine insgesamt hochkarätige Gesamtschau auf die musikalischen Umwälzungen, die sich von ca. 1580 bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts in Italien ereigneten und an denen die "Cecchina" regen Anteil hatte.

Programmatisch in eine imaginäre Abendmusik am Hofe der Medici zu Florenz gekleidet, erklangen Kompositionen von Luca Marenzio, Antonio Archilei, Emilio de' Cavalieri u. v. a. Neben Francesca kam selbstverständlich auch ihr Vater Giulio Caccini zu Wort.

Trotz einiger Nervosität hervorragend: Dorothee Mields mit "Torna, deh torna"; Suzie Le Blanc spannte mit dem anonymen "Ma belle si ton âme" (aus Besards "Thesaurus harmonicus", Köln 1603) eine Brücke nach Paris, wo Francesca mit ihrer Familie große Erfolge am Hofe Heinrich IV. feierte. Christian Hilz (mit nur wenig Emphase in Giulio Caccinis berühmtem "Amarilli") und Barbara Borden konnten stimmlich nur bedingt überzeugen.

Unter den instrumentalen "Beigaben" des Programms stachen die hochvirtuose, die Grenzen des mitteltönig gestimmten Cembalos mehrfach extrovertiert überschreitende Canzone von Carlo Gesualdo (Alexander Weimann) sowie die feinsinnig interpretierte Toccata und Ciaccona von Alessandro Piccinini (Stephen Stubbs, Chitarrone) hervor.

Ein leider stetig wiederkehrendes Manko der Tage Alter Musik war auch in diesem Konzert wieder, das es den Veranstaltern selbst im 27. Jahr noch immer nicht gelingen mag, einen etwas gelasseneren Umgang mit Live-Übertragungen des WDR zu entwickeln. Das quasi minutengenaue zur Pause Hinaus- und wieder Hineintreiben des Publikum vermittelte den Anwesenden doch nur allzu deutlich, dass sie in Herne leider nicht "in der 1. Reihe" sitzen.

Dessen ungeachtet ging mit Auszügen aus Francesca Caccinis Oper "La liberazione di Ruggiero" einer der Höhepunkte des diesjährigen Herner Festivals zu Ende.

Sendetermin: (live), Samstag, 16. November 2002, 20.00 Uhr, WDR 3

Tragicomedia



Für Nannerl
Wolfgang Amadeus Mozart


Wolfgang Brunner, Hammerflügel
Leonore von Stauss, Hammerflügel

Klavierwerke Mozarts, die sonst eher nicht in Konzertprogrammen erscheinen und Zitate aus Briefen von Wolfgang und Maria Anna (Nannerl) Mozart, präsentierten Wolfgang Brunner und Leonore von Stauss. "Nannerl" war Mozarts ältere Schwester und selbst hochbegabt. Lange Zeit reisten die beiden als klavierspielende Wunderkinder durch Europa. Als Erwachsene jedoch gab es für Nannerl keine andere Wahl, als ihr öffentliches Auftreten als Virtuosin zu Gunsten einer bürgerlichen Existenz zu opfern. Trotzdem versorgte Mozart seine Schwester mit Klaviersonaten, die er auch gern mit ihr vierhändig spielte, zumindest im familiären Kreis.

Herrliche Beispiele dafür lieferten Wolfgang Brunner und Leonore von Stauss mit den musikantisch und leidenschaftlich interpretierten Sonaten D-dur (KV 381) und B-dur (KV 358) für Klavier zu vier Händen, sowie dem Praeludium (Capriccioso) C-dur (KV 395) und Praeludium (Fantasie) und Fuge C-dur (KV 394) für Klavier solo.

Dieses Konzert gehörte in die immer wieder ins Programm genommene Reihe von moderierten Konzerten, in der Information, Unterhaltung und Musik gleichermaßen treffend dargeboten werden und dadurch auch das Publikum begeistern.

Sendetermin: Sonntag, 15. Dezember 2002, 22.00 Uhr, WDR 3

Wolfgang Brunner und Leonore von Stauss



Chiara Margarita Cozzolani
I Vespri Natalizi (1650)
Psalmen und Antiphonen einer Vespermusik zur Weihnachtszeit
für acht Stimmen und Basso continuo

Cappella Artemisia, Bologna:
Frida Forlani, Alessandra Fiori, Glori Moretti,
Alida Oliva, Rebecca Reese, Candace Smith,
Silvia Testoni und Patrizia Vaccari, Gesang
Maria Chistina Cleary, Barockharfe
Francesca Torelli, Theorbe
Bettina Hoffmann, Viola da gamba
Miranda Aureli, Orgel

Leitung: Candace Smith

Die Cappella Artemisia aus Bologna hat sich auf die Interpretation von Musik aus italienischen Nonnenklöstern der Renaissance und des Frühbarock spezialisiert. In der Herner Kreuzkirche gestaltete das Ensemble unter der Leitung von Candace Smith nun eine Christvespermusik mit Werken der Mailänder Benediktinerin Chiara Margarita Cozzolani (1602 bis um 1677).

Wie dem wieder einmal hervorragenden Programmbuch der Tage Alter Musik zu entnehmen ist, bedurfte es einigen aufführungspraktischen Aufwands, um die bis zu achtstimmigen Werke Cozzolanis für ein Frauenensemble einzurichten. Denn obwohl die Musik ursprünglich wahrscheinlich für Nonnen bestimmt war, umfassen die im Druck erschienen Kompositionen auch Stimmbücher für Tenor und Bass, so dass Oktavierungen einzelner Stimmen und Transpositionen ganzer Sätze notwendig wurden.

Trotzdem gelang es den acht Sängerinnen - ungeachtet einiger Abstriche in der Qualität der Einzelstimmen - zu einer homogenen musikalischen Einheit zu verschmelzen. Die Continuo-Gruppe mit Maria Christina Cleary (Harfe), Francesca Torelli (Chitarrone), Bettina Hoffmann (Viola da Gamba) und Miranda Aureli (Orgel) sorgte für eine stilgerechte, differenzierte instrumentale Unterstützung.

Sendetermin: (live) Sonntag, 17. November 2002, 16.00 Uhr, WDR 3

Cappella Artemisia, Bologna




Maria Antonia Walpurgis, Kurfürstin von Sachsen:
Talestri, Regina delle Amazzoni (1760)
Dramma per Musica

Talestri, Königin der Amazonen - Christine Wolff, Sopran
Antiope, Talestris Schwester - Marilia Vargas, Sopran
Oronte, Prinz der Skythen und Liebhaber der Talestri - Ulrike Bartsch, Sopran
Tomiri, Oberpriesterin im Staate der Amazonen - Johanna Stojkovic, Sopran

Batzdorfer Hofkapelle
Konzertmeister: Daniel Deuter

Moderation: Katja Ruppenthal

Den krönenden Abschluss der 27. Tage Alter Musik bildete die Oper "Talestri, Regina delle Amazzoni" von Maria Antonia Walpurgis (1724 - 1780). Die Kurfürstin von Sachsen - eine geb. Prinzessin von Bayern - komponierte nicht nur diese Oper, zu der sie selbst das italienische Libretto geschrieben hatte, sondern sie sang darin auch die Hauptrolle. Ihre Musikalische Ausbildung erhielt sie immerhin von so bekannten Persönlichkeiten wie Johann Adolf Hasse und Nicolò Porpora - dessen Oper Arianna in Nasso an diesem Abend in Münster seine deutsche Erstaufführung erlebte. Außerdem war sie eine gute Malerin und mischte sich auch in Regierungsgeschäfte ein. Daher verwundert es auch nicht, dass sie als Schauplatz für ihre Oper den Amazonenstaat wählte, in dem Männer nicht nur Heldenrollen spielen.

Das junge Orchester der Batzdorfer Hofkapelle, die sich mit Vorliebe wenig bekannten Opern und Oratorien aus dem Dresdener Repertoire des 18. Jahrhunderts widmet und auf einen Dirigenten verzichtet, drückte mit ihrem begeisternden, sehr differenzierten und spannungsvollen Musizieren dem Abend ihren Stempel auf. Kurzfristige Umbesetzungen bei den Vokalsolisten (und der Moderatorin) sorgten zwar im Vorfeld für einige Unruhe, konnten aber die eigentliche Aufführung nicht beeinträchtigen.

Christine Wolff in der Titelpartie gefiel vor allem durch ihre leicht ansprechende und sich frei entfaltende Sopranstimme, wenn auch in extremen Wutausbrüchen noch einige Reserven wünschenswert gewesen wären. Als Tomiri, der "verbiesterten" Oberpriesterin im Staate der Amazonen, beeindruckte Johanna Stojkovic mit ihrem hellen und gerade geführten Sopran. Die temperamentvolle Sopranistin Marilia Vargas in der Rolle von Talestris Schwester Antiope, setzte dagegen eher auf vordergründige Effekte, als auf stimmlich fundierten Ausdruck. Mit einer warmen, volltönenden und tief-timbrierten Sopranstimme wartete Ulrike Bartsch auf, die die "Hosenrolle" des Oronte sang. Die Rolle des Learco, Prinz der Massageten und Freund Orontes, war in dieser leicht gekürzten Fassung des Werkes gestrichen. Einen Querschnitt dieser Oper (mit anderen Solisten) hat die Batzdorfer Hofkapelle übrigens schon auf CD eingespielt.

Wieder einmal konnte man so ein Werk kennen lernen, das - Abseits des gängigen Repertoires - für aufgeschlossene Ohren musikalische Schätze zu bieten hat.

Auch die Moderation war - nach der armseligen Darbietung im letzten Jahr - durchaus informativ und verständlich. Allerdings gab es auch in diesem Jahr kein Textbuch für das Publikum; nicht einmal eine Übersicht der Arienabfolge. Schade, denn das ausführliche Programmbuch des Festivals ist - wie immer - eine sehr informative "Fundgrube".

Sendetermin: (live) Sonntag, 17. November 2002, 20.00 Uhr, WDR 3


Fazit:

Insgesamt hielten sich die Konzerte der 27. Tage Alter Musik in Herne - im Gegensatz zu manch anderem Jahr - sehr stark an das gewählte Motto und präsentierten - wenn auch nicht immer auf höchstem Niveau - ein sehr breitgefächertes Programm, dass so manch Erstaunliches zu Gehör brachte. Dafür besten Dank an Barbara Schwendowius, ihre Mitarbeiter und den WDR.

Talestri




Tage Alter Musik in Herne - Homepage



Da capo al Fine

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© 2002 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

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