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Der General dankt abStefan Soltesz hat als Chefdirigent und Intendant das Essener Aalto-Theater zu einer der besten Opernbühnen Deutschlands gemacht. Eine Bilanz.Von Stefan SchmöeSelten war der Begriff Ära so treffend wie hier: 16 Spielzeiten lang hat Stefan Soltesz als Generalmusikdirektor und Opernintendant in Personalunion das Musikleben der Stadt Essen geprägt. Soltesz wirkte omnipräsent; selbst wenn er nicht im Aalto-Theater anwesend war, schien man seine Gegenwart zu spüren, so stark waren die Bedingungen von ihm geprägt, auf ihn zugeschnitten. Oft wie kaum ein anderer Chefdirigent stand er am Pult seines Hauses, leitete die Mehrzahl der Premieren persönlich. Das Publikum lag ihm schnell zu Füßen, die Begeisterung nahm alsbald geradezu hysterische Züge an: Wie ein Pop-Star wurde Soltesz bereits beim Betreten des Orchestergrabens bejubelt. Soltesz übernahm sein Amt, als der Schwung der ersten Jahre im 1988 neu eröffneten Aalto-Theater verflogen schien. Die Essener Philharmoniker, unter seinem Vorgänger Wolf-Dieter Hauschild ein solides städtisches Orchester, formte er zum wohl besten Opernorchester der Region die Qualität war zuletzt in Soltesz' Abschiedsvorstellungen in der Philharmonie mit Mahlers 2. Symphonie und in der Oper mit Strauss' Frau ohne Schatten zu bewundern. Dieses außerordentlich hohe künstlerische Niveau, auf das er sich auch bei schwachen Inszenierungen berufen konnte (und das das Publikum ihm stets anrechnete), war die Basis für seinen Erfolg als Intendant. Nach innen hin war der Preis für diese Qualität freilich hoch. Soltesz war ein strenger, ja: ein gefürchteter Dirigent, der mit seinen Wutausbrüchen für Angst und Schrecken sorgte. Soltesz hat in Essen ein ordentliches, aber kein überragendes Sängerensemble aufgebaut der Star war hier der Dirigent. Aber er leitete mit diesem Ensemble einen Repertoirebetrieb, der gut funktionierte und im Umfeld konkurrenzlos war. Während die beiden großen Theater des Landes mit sich selbst beschäftigt schienen die Düsseldorf-Duisburger Deutsche Oper am Rhein um ein erkennbares Profil rang, die Kölner Oper unter Intendant Christoph Dammann gar in eine bedenkliche Krise schlitterte hatte das Aalto-Theater in seiner unerschütterlichen Konstanz einen geradezu staatstheaterhaften Gestus. Dazu trug ein Spielplan bei, der das Kernrepertoire zu den Rändern hin erweiterte: Gespielt wurde neben Mozart viel Puccini und Verdi (darunter auch die seltener aufgeführten Schiller-Opern Luisa Miller und Die Räuber), alle Bayreuth-erprobten Opern Wagners, von Richard Strauss neben Salome und Elektra, Rosenkavalier, Ariadne auf Naxos und Arabella auch die Frau ohne Schatten und sogar die selten aufgeführten Daphne und Die ägyptische Helena. Ob Freischütz oder Hoffmanns Erzählungen, Carmen oder Pelleas et Melisande die Essener Spielpläne lasen sich wie das Inhaltsverzeichnis gängiger Opernführer. Soltesz ließ auch Musical spielen (u.a. Jesus Christ Superstar und Chess), stand bei Operetten selbst am Pult (u.a. Orpheus in der Unterwelt, Fledermaus und Csárdásfürstin). Gelegentliche Ausflüge in die Zeit der Barockoper (Gastdirigenten überlassen) blieben die Ausnahme. Die klasssische Moderne pflegte er mit Bergs Wozzeck und Lulu, Schostakowitschs Nase, Weills Mahagonny. Das zeitgenössische Musiktheater hatte dagegen einen schweren Stand die einzige Uraufführung, Die arabische Nacht von Christian Jost, wurde bezeichnenderweise ins benachbarte, dem Schauspiel vorbehaltene Grillo-Theater ausgelagert. Reimanns Lear und Henzes Elegie für junge Liebende, viel stärker noch Brittens Peter Grimes und Sommernachtstraum sowie Poulencs Dialogues des Carmelites vertraten eine sehr gemäßigte Moderne mit erkennbar romantischen Wurzeln. Mehr Wagemut, mehr Bekenntnis zur Musik unserer Zeit hätte es da mitunter schon sein dürfen. Und angesichts eines ausgewiesenen Strauss-Experten wie Soltesz wäre auch die Beschäftigung mit Strauss-Zeitgenossen wie Zemlinsky oder Schreker spannend gewesen. So sehr Soltesz bei der Stückauswahl auf bekannte Namen setzte, so wagemutig war er oft in der Wahl der Regisseure - merkwürdig, dass Essen dennoch vergleichsweise wenig als Ort des Regietheaters wahrgenommen wurde. Dabei sorgten Tilman Knabe (u.a. mit Turandot und dem Rheingold) und Barrie Kosky (vor allem mit dem Fliegenden Holländer) Hans Neuenfels (mit Tannhäuser) und Peter Konwitschny (dessen Daphne die wohl szenisch aufregendste der Essener Strauss-Produktionen war) für Diskussionsstoff. Stefan Herheim gelang mit Bellinis Puritanern und Mozarts Don Giovanni der Durchbruch. Dietrich W. Hilsdorf, einstiger Essener Skandalregisseur und Provokateur vom Dienst, wurde zwar altersmilde, steuerte aber manche ungewohnte Sichtweise bei (u.a. Semele, Carmen, La Forza del Destino) wie auch Anselm Weber (Die Meistersinger von Nürnberg, Der Rosenkavalier). Behaglich einrichten konnte sich das Publikum in dieser Inszenierungsvielfalt nicht auch wenn die riesige Bühne des Aalto-Theaters manche provokative Spitze zu Gunsten der großen repräsentativen Geste abschliff. Als Krönung der Ära Soltesz konnte man die Auszeichnung zum Opernhaus des Jahres und Opernorchester des Jahres 2008 verstehen. Mit solchem Ruhm, solcher Popularität hatte Soltesz eine starke Position auch in der Kulturpolitik. Die müssen sich seine Nachfolger erst einmal erarbeiten. Die kommende Theaterleitung - Hein Mulders als Intendant, Tomás Netopil als Chefdirigent tritt ein schweres Erbe an: Der Schatten von Stefan Soltesz ist lang, in vieler Hinsicht. (Juli 2013)Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Stefan Soltesz (Foto © Matthias Jung) Stefan Soltesz, 1949 in Ungarn geboren, studierte bei Hans Swarowsky in Wien, wo er am Theater an der Wien und der Wiener Staatsoper auch erste Erfahrungen als Dirigent sammelte. Nach Tätigkeiten in Graz, Hamburg und an der Deutschen Oper Berlin wurde er 1988 zum Generalmusikdirektor des Staatstheaters Braunschweig berufen (bis 1993) und war von 1992 1997 Chefdirigent der Flämischen Oper Antwerpen und Gent. 1997 trat er das Amt des Generalmusikdirektors und Intendanten der Aalto-Oper in Essen an, das er bis zum Ende der Spielzeit 2012/2013 ausübte. Gastdirigate führen ihn zu vielen namenhaften Opernhäusern wie die Wiener Staatsoper.
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