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Keine Scheu vor dem Gesamtkunstwerk!
Von Stefan Schmöe
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Fotos Monika Rittershaus Die Götter lassen sich ins Nichts fallen. Rücklings und mit ausgebreiteten Armen entschwinden sie in ein riesiges rundes (offenbar sehr tiefes) Loch, das sich im Bühnenboden aufgetan hat, während die Blechbläserfanfaren pompös den Einzug in die Himmelsburg Walhall feiern. "Ihrem Ende eilen sie zu", die Götter Walhalls, hat Halbgott Loge treffend bemerkt. Dieses Ende ist eine Auflösung, eine Auslöschung, die keinen Hinweis gibt auf das folgende Drama. Regisseur und Ausstatter Romeo Castellucci lässt alles offen, legt keine erkennbaren Spuren, wie es weitergehen könnte. Im vierten Bild des Rheingolds waren die Götter in weiße Gewänder gekleidet, die an buddhistische Priester denken lassen, und vielleicht darf man die vier Bilder, abwechselnd in schwarz und weiß gehalten, als Lebensreise sehen, vielleicht als Wanderung durch verschiedene Zustände, die am Ende in einer höheren, nicht mehr fassbaren Form endet. Es bleibt eines der vielen Rätsel dieser Inszenierung. Auf dem Grund des Rheines: Alberich als Schmerzensmann
Castellucci spürt dem Mythos nach; an einer vordergründigen gesellschaftspolitischen Inszenierung ist er nicht interessiert. Der Mythos muss groß sein, er darf sich weder in einer konkreten Ausdeutung noch in kleinteiliger Bühnenaktion verlieren. Das ist die andere Dimension: Castellucci hat das Gesamtkunstwerk zum Ziel, das Musik, Handlung und Bilder zusammenbringt. Dazu gehört, die Geschichte mit der ihr eigenen Wucht in abstrakten Räumen einigermaßen unverfälscht nachzuerzählen. Mit falsch verstandenem Traditionalismus hat das nichts zu tun, im Gegenteil. Im zweiten Bild "auf Felsenhöhen" lässt er großformatige Fotos von Darstellern in historischen Kostümen hereintragen, die Loge mit Eiern bewirft, aus denen dann schwarze Farbe quillt: Eine Abrechnung mit Walküren in geflügelten Helmen und Göttern mit Füllhörnern. Wotan schaut halb belustigt, halb gelangweilt zu - bis sein eigenes Bild an die Reihe kommt. Da sieht man ihn mit dem Speer, den es ansonsten in dieser Inszenierung nicht gibt. Dabei ist der Speer ja ein wichtiges Symbol; allerdings war schon Richard Wagner bei der Uraufführung des Rings bewusst, dass die Idee hinter solchen Symbolen in der Bühnenwirklichkeit allzu leicht in banalen Requisiten verloren geht. Castellucci findet einen anderen Umgang mit solchen Bildern. Der Ring, um den sich alles dreht und den Alberich sich von Mime aus dem Rheingold schmieden lässt, ist hier ein großer Metallreif von mehr als einem Meter Durchmesser (wir können bei der industriellen Fertigung im dritten Bild zuschauen), und es gibt gleich mehrere davon. Damit ist auch klar: Der Ring ist eine Idee, die viel größer ist als jedes Requisit. Leichen sind es hier zum Glück nicht, über die Wotan und Fricka gehen - hier im zweiten Bild ein merkwürdiges Königspaar mit lustigen Kronen und offensichtlicher Affinität zur griechischen Antike
Das Rheingold wird dargestellt von unbekleideten Tänzerinnen, deren Körper mit Goldfarbe überzogen sind, und meist sind sie hinter Wasserschleier und Bühnennebel nur schemenhaft zu erkennen. Das Wasser als Urelement ist im ersten Bild allgegenwärtig. Aber auch das Rheingold nimmt keine konkrete Bedeutung an wie etwa bei Valentin Schwarz in dessen aktuellem Bayreuther Ring, wo das Gold als Ressource durch Kinder als Metapher für Zukunft und Zukunftsfähigkeit ersetzt wurde. Bei Castellucci bleibt das Gold Ausdruck für unbestimmte Wünsche und Sehnsüchte, immerhin deutlich sexuell konnotiert (schließlich schwört Alberich der Liebe ab, um "Lust" zu gewinnen). Aber das Bild setzt sich nicht fort. Die Regie denkt nicht in Kontinuitäten, sie ist voller kalkulierter Brüche - und fügt sich dann doch auf faszinierende Weise zusammen. Und völlig frei von Gesellschaftskritik ist sie, wie könnte das im Ring auch anders sein, dann auch nicht. Wie brutal auf Kosten anderer die Macht der Götter errichtet ist, das zeigt sich im zweiten Bild, wenn der Boden von menschlichen Körpern bedeckt ist, auf denen die Götter herumtreten (den vielen, vielen Statist:innen wird einiges abverlangt). Und Alberich ist zunächst an einen Stahlträger gekettet; er trägt als Kostüm einen verwachsenen Rücken, und bei der Verwandlung in eine Kröte legt er eben diese Verkleidung ab und wird zum Menschen, von Loge alsbald mit schwarzer Farbe (ein bildliches Leitmotiv) übergossen. Das ist einer von vielen verblüffenden, überwältigenden Momenten an diesem Abend. Und weil Castellucci nichts erklärt, nichts dekonstruiert und nie auf einfache Lösungen aus ist, liegt gerade in der Offenheit, die weite Assoziationsräume ermöglicht, die große Stärke der Inszenierung - neben ihren grandiosen Bildfindungen. Im nachtschwarzen Nibelheim ist Alberich auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit Licht und dem unvermeidlich den Arbeitsprozess störenden Lichtalben Wotan, hier nicht im Bild)
Die präzise, meist nicht wirklich "realistische", aber doch genau die Situation umreißende Personenregie wird vom ausgezeichneten Ensemble bestens ausgeführt und setzt sich auch auf der musikalischen Seite fort. Alain Altinoglou findet mit dem sehr guten Orchester der Brüsseler Oper einen fließenden, nie schweren, erzählerischen Grundton, sängerfreundlich und mit hintergründigem Witz. Dazu ist der Orchestersatz sehr gut ausbalanciert zwischen Begleitung des Bühnengeschehens und symphonischer Antriebskraft für das Drama. Hier und da könnte er sicher einzelne Momente stärker akzentuieren (etwa Loges Vorschlag, wie die Götter an den Ring kommen: "Durch Raub"), über die er etwas nebensächlich hinwegmusiziert. Das große Pathos hebt er sich für den majestätischen Schluss auf, der entsprechend effektvoll ertönt, und die schicksalsschwere Tragik ist aber einstweilen aufgespart für die kommenden Dramen. Gleich kommt's zum Fluch: Alberich, Wotan und der Ring
Gábor Bretz ist stimmlich ein relativ leichter (nicht leichtgewichtiger) Wotan mit sicheren Spitzentönen, Marie-Nicole Lemieux (Fricka) und Annett Fritsch (Freia) sind klangschöne Göttinnen. Nora Gubisch (solide, im Timbre unauffällig) singt die Erda aus einer Gruppe von Frauen heraus und bleibt als Person nahezu unkenntlich - so wird die Erda zum Prinzip statt zur Individualfigur. Donner (Andrew Foster-Williams) und Froh (Julian Hubbard) kommen in diesem Konzept über ihre Funktion als Stichwortgeber nicht nennenswert hinaus. Scott Hendricks gibt einen vielschichtigen, nie donnernden Alberich mit menschlichen Dimensionen, Peter Hoare einen soliden Mime. Grandios ist der wandlungsfähige Loge von Nicky Spence, einem schmierigen Taschenspieler in kurzen Hosen (in dunkelrot - ein bisschen Feuergott darf es sein), der mit geschmeidigem Tenor die lyrischen Passagen wie den Konversationston mit einiger Ironie hinterlegt. Ante Jerkunica (Fasolt) und Wilhelm Schwinghammer (Fafner) sind szenisch wie stimmlich beeindruckende Riesen, und die Rheintöchter (Eleonore Maguerre, Jelena Kordić und Christel Loetzsch) zeigen mit schönen Stimmen Individualität, fügen sich aber auch homogen zum Terzett. Es wird von allen durchgehend kultiviert gesungen (und sorgfältig artikuliert). So ist es auch musikalisch ein großer Abend. FAZIT Macht mir den Wagner nicht zu klein: Romeo Castellucci findet grandiose, assoziationsreiche Bilder für ein in sich abgeschlossenes Rheingold auf musikalisch ausgezeichnetem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung; Ausstattung, Beleuchtung
Dramaturgie
Künstlerische Mitarbeit
Mitarbeit Bühne
Mitarbeit Kostüme
Mitarbeit Licht
Choreographie
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Fricka
Freia
Erda
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde
Der Ring in Brüssel:
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