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All die schönen Pferde
Von Stefan Schmöe
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Fotos Monika Rittershaus Ausgerechnet Tiere sollen das Theater retten. Ein (lebendiges) Tier auf die Theaterbühne zu bringen, das sei ein Protest, der sich aber nicht mehr gegen die Götter richte (wie in einer archaischen Zeit vor der Erfindung des Theaters, muss man hinzudenken), sondern gegen deren industrielle "Opferung" durch Schlachtung. So äußert sich Romeo Castellucci, Regisseur und Ausstatter dieses Rings, im Programmheft. Das Tier darf man sich aber vor allem als Ausdruck einer Ursprünglichkeit der Welt denken, die noch nicht vom Menschen auf bürgerliche Maße zurechtgestutzt ist, das Theater eingeschlossen. Einbruch der Bürgerlichkeit in den Mythos: Hunding (links) und Siegmung (in der Mitte, kaum zu sehen, steht Sieglinde)
So erobert sich die Regie den Mythos zurück, indem sie lebendige Tiere auf die Bühne bringt: Hunding wird von einem schwarzen Hund begleitet, Fricka von einem Schwarm weißer Tauben, und zum Walkürenritt stehen schwarze Pferde auf der dunklen Bühne. Vor dem zweiten Akt wird auf den Vorhang eingeblendet, dass selbstverständlich das Tierwohl höchste Priorität habe. Der Hund bellt beim Schlussapplaus, die Tauben gurren in die Generalpausen hinein, aber die Pferde verzichten auf's Wiehern - dabei hört Castellucci aus den Hojotoho-Rufen der Walküren deren animalische Existenz heraus. Um eine pseudorealistische Darstellung der Szene geht es Castellucci überhaupt nicht (auch wenn der Auftritt der Walküren, die menschliche Körper über die Bühne schleifen, zur konventionellsten Szene dieser Aufführung gerät), im Gegenteil. Für ihn ist das Pferd kein Requisit für den Fortgang der Handlung, sondern Ausdruck der Rückeroberung der Bühne (und eigentlich der Welt) durch das Tier: Was der Mensch klein gemacht hat, soll hier wieder groß werden. Winterstürme weichen gerade dem Wonnemond: Sieglinde und Siegmund mit Blumen (das Schwert Nothung lagert derweil im Kühlschrank hinten)
Geht die Idee auf? Nein und ja. Der Mensch hat ja ziemlich profan eine Theaterbühne ganz anderer Art für das Tier gefunden, nämlich den Zirkus - und ein wenig danach sieht es eben auch aus. Auf der anderen Seite geben die unkontrolliert fliegenden Tauben der Aufführung ein irritierend archaisches Moment, und die schwarzen Pferde strahlen, gerade weil sie im dunklen Hintergrund fast unsichtbar bleiben, mit ihrer Präsenz eine geheimnisvolle Würde aus. Ob das den Aufwand (und den möglicherweise ja doch vorhandenen Stress für die Tiere) rechtfertigt, darüber lässt sich sicher streiten. Zumal der Regisseur über andere Mittel verfügt, um (wie schon im Rheingold) die narrative Struktur immer wieder aufzubrechen und die Geschichte zum großen Welttheater aufzuweiten. Noch vor dem Orchestervorspiel zum ersten Aufzug ergießen sich spektakulär wahre Sturzbäche über einen menschlichen Körper hinter einem Plastikvorhang, auf dem ein Kreis, natürlich der umkämpfte Ring, zu erkennen ist. Die Gewittermusik wird auf diese Weise vorab zum Existenzkampf des Menschen überhöht. Die erste Begegnung von Siegmund und Sieglinde findet im fast leeren schwarzen Raum statt, ganz ohne Hütte und Requisiten. Wenn Sieglinde dem Flüchtenden Wasser reicht, dann hält sie ihm ein langes Glasrohr hin: Ein Anti-Requisit von extremer Unnatürlichkeit. Mit Hunding erscheint nicht nur der schon erwähnte Hund, sondern auch bürgerliches Mobiliar, aber nicht in Form eines realen Raums, sondern als kinetische Skulptur beinahe in Dauerbewegung (Sieglinde wird beinahe davon zermahlen). Das Schwert Nothung steckt keineswegs in der Esche, sondern wird von Sieglinde, sorgfältig in Tücher eingewickelt, kampfbereit aufbewahrt. Siegmund packt es erstmal in einen zufällig vorbeirotierenden Kühlschrank, nicht ohne eine gewisse Komik (ob die gewollt ist?) Fricka (mit Taube) und Wotan
Es passiert viel auf der Bühne. Wo bei anderen Regisseuren der Weg in die Abstraktion oft auch ein Weg in die Langeweile ist, veranstaltet Castellucci viel Bühnenzauber. Siegmund und Sieglinde lagern auf ihrer Flucht vor Hunding inmitten merkwürdiger, sich immer wieder bewegender Objekte (sie werden sich als zottige Monster in Hundings Diensten erweisen, die Siegmund im finalen Kampf unter sich begraben, und das wirkt nicht einmal peinlich). Das Schwert schwebt dabei dramatisch über der Szene, die wie fast immer in Schwarz gehüllt ist (sehr selten wechselt die Farbe zu weiß, und die Dramatik des zweiten Aktes ist ein wenig rötlich eingefärbt). Wenn Siegmund und Sieglinde sich als Geschwister erkennen, beschmieren sie sich gegenseitig mit viel Theaterblut. Die sexuelle Vereinigung wird so zum Opfer und in eine Vorwegnahme des Todes umgedeutet. In solchen Momenten wird das Spiel zum (oft rätselhaften) Ritual. Wotan mit gefallenen Helden. Im Hintergrund ein Pferd.
Nun hat die Walküre ja auch eine sehr menschliche Dimension nicht nur in der schnell aufflammenden wie sich tragisch verzehrenden Liebe von Siegmund und Sieglinde, sondern auch in der Tragödie von Götterchef Wotan und dessen Abschied von seiner Lieblingstochter Brünnhilde. Immer wieder sind darin Elemente des bürgerlichen Trauerspiels gesehen worden. was sich Castelluccis überhöhendem Ansatz eines "über-menschlichen" Theaters widersetzt. Hier gelingt, vor allem im dritten Aufzug, die Lösung aber sehr überzeugend: Die Personenführung ist stilisiert, Gesten werden im Stile des asiatischen Theaters formalisiert, wodurch das Geschehen auf eine höhere, allgemeingültige Ebene transportiert wird, ohne an Intensität einzubüßen. Wotans Abschied von Brünnhilde
Castellucci hat in Dirigent Alain Altinoglu einen kongenialen Partner, der mit dem guten, am Ende der hier besprochenen Aufführung etwas unkonzentrierten Orchester der Opera La Monnaie weniger die schnellen dramatischen Momente betont als vielmehr Wagners Partitur als unendliche Melodie interpretiert. Auch wenn die Musik in (wohldosierten) Schlüsselmomenten durchaus zugespitzt "knallen" kann, ist diese Walküre musikalisch lyrisch grundiert. Altinoglu hält fabelhaft die Spannung und zeichnet mit dem Orchester einen dunkel grundierten Mischklang, der dem Schwarz der Bühne entspricht. Und er begleitet mit flüssigen Tempi sehr sensibel die ganz ausgezeichneten Sängerinnen und Sänger. Nadja Stefanoff singt und spielt eine jugendlich-schwärmerische Sieglinde und beeindruckt insbesondere mit verführerisch schönem, nicht zu hellem Piano. Der Siegmund von Peter Wedd mit klangschön baritonal eingefärbtem, aber doch recht leichtgewichtigem und mitunter engem Tenor kann da trotz starker Momente nicht mithalten. Fabelhaft ist die leicht dunkel timbrierte, nie forcierende, strahlkräftige (aber immer auf schönen Klang bedachte) Brünnhilde von Ingela Brimberg. Selten hört man den Wotan so tonschön und beinahe liedhaft gesungen wie hier von Gábor Bretz - wenn auch um den Preis, dass es für einen Gott hier und da an vokaler Größe fehlt. Für seine Schlussworte ("Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!") hat er sich allerdings einen eindrucksvoll trompetenhaften Ton aufgespart. Marie-Nicole Lemieux steuert eine fulminante Fricka bei, Ante Jerkunica einen geheimnisvoll düsteren Hunding. FAZIT Romeo Castellucci will in seiner mystisch-rätselhaften Inszenierung mitunter allzu viel, und nicht jedes Bild geht auf. Aber mit vielen faszinierenden Momenten gibt er nach dem Rheingold auch mit dieser Walküre dem Ring des Nibelungen eine ritualhafte Größe zurück, die in anderen Deutungen verloren geht. Musikalisch ist dies eine wunderbar lyrische, ausgezeichnet gesungene Walküre von internationalem Format. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung; Ausstattung, Beleuchtung
Dramaturgie
Künstlerische Mitarbeit
Mitarbeit Bühne
Mitarbeit Kostüme
Mitarbeit Licht
Choreographie
Solisten
Hunding
Wotan
Sieglinde
Brünnhilde
Fricka
Gerhilde
Ortlinde
Waltraute
Schwertleite
Helmwige
Siegrune
Grimgerde
Rossweisse
Der Ring in Brüssel:
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