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Wird eine Welt ohne Götter eine bessere Welt sein?
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Monika Rittershaus Das erste "Bravo" donnert noch in den zart verklingenden Schlussakkord hinein. Dabei wären ein paar Sekunden der Ruhe durchaus angemessen gewesen nach einem musikalisch bewegenden Abend. Aber wer der Erste sein will, muss eben Flexibilität zeigen. Das Brüsseler Publikum feiert den Dirigenten Alain Altinoglu und das insgesamt sehr gute, an ein paar (prominenten) Stellen unkonzentrierte Orchester zu Recht. Gehört hat man eine lyrisch fließende, unpathetische Götterdämmerung, die vielleicht hier und da mehr dramatische Schärfe haben dürfte, aber sehr schön gesanglich ausmusiziert ist. Die Abstimmung mit dem ausgezeichneten Ensemble auf der Bühne ist nahezu perfekt, nichts wird zugedeckt, niemand muss schreien. Der Trauermarsch kommt spannungsvoll federnd daher, Siegfrieds Rheinfahrt gelingt kokett schillernd. Im Finale darf das Erlösungsmotiv schwelgerisch strömen. Bei allem Drama bleibt eine gewisse Leichtigkeit erhalten. ![]()
Das passt zum Regieansatz von Pierre Audi, der wie schon im Siegfried eine fast kindliche Perspektive einnimmt und die Geschichte als Märchen erzählt. Dazu blendet er zu Beginn der einzelnen Akte und auch zu den letzten Tönen des Abends Videoprojektionen (Chris Kondek) von Kindern ein, die die Geschichte zeichnen oder in einfachen Kostümen nachspielen. Auf der Bühne (Michael Simon) sieht man eine abstrakte Landschaft aus geometrischen Elementen. Objekte, die wie Meteoriten oder wie zerknülltes Blech aussehen, hängen (wie im Schlussbild von Siegfried, womit eine Kontinuität der Handlung gegeben ist) von der Decke. Zerknülltes Blech im Hintergrund suggeriert eine Gebirgskette. Zwei kupferfarbene Mauern werden variabel verschoben. Eine Fantasielandschaft also ohne konkrete Bezüge zur Gegenwart oder einer näher bestimmbaren Vergangenheit. ![]() Inzestuöses Geschwisterpaar: Gunther und Gutrune
Im ohnehin von Wagner märchenhaft angelegten Siegfried hatte das gut funktioniert. In der komplexeren Götterdämmerung, in der die einzelnen Erzählfäden der vorangegangenen Teile des Ring des Nibelungen zusammengeführt werden müssen, erweist sich diese bewusst naive Erzähltechnik als problematischer. Wer zum Beispiel sind diese Gibichungen, in deren Hof Siegfried hineinstolpert und prompt zum Verräter wird? Die eleganten, in ihrer Schlichtheit abstrakten, durch perfektes Make-Up und durchgestalteten Frisuren ziemlich heutigen Kostüme von Gutrune und Gunther verweisen dann doch auf unsere Gegenwart (Kostüme: Petra Reinhardt). Anett Fritsch mit dunkel samtigem Sopran und Andrew Foster-Williams mit hell strahlendem Bariton verleihen diesem offensichtlich inzestuös verbundenen Geschwisterpaar bestechende Präsenz. Sie könnten die Stars jeder Brüsseler Party sein. Dem Hagen gibt Ain Anger stimmlich wie szenisch beängstigende Wucht. Zunächst im kuttenartigen schwarzen Umhang, später in einem animalisch anmutenden Oberteil mit Zotteln, zuletzt mit entblößtem Oberkörper und schwarzer Hose und Stiefeln gibt er den Prototyp des Bösen ab, wobei er zunehmend in die Gegenwart rückt. Der Regieansatz ist zwingend, droht aber die Märchenwelt zu sprengen. ![]() Hochzeit unter düsteren Vorzeichen: Gunther und Brünnhilde, hinten Hagen
In der bewegen sich noch die Nornen (stimmlich einzeln wie im Trio fabelhaft: Marvic Monreal, Iris Van Wijnen und Katie Lowie) in kokonartigen Gewändern. Die Rheintöchter (stimmlich nicht minder beeindruckend: Tamara Banješević, Jelena Kordić und Christel Loetzsch) räkeln sich zunächst mit Badekappe und Schwimmflossen, bevor sie eindrucksvolle riesige Kleider anlegen. Hier fehlt der erkennbare Bezug zum Rheingold (zur Erinnerung: Pierre Audi übernahm die Inszenierung erst nach der Walküre von Romeo Castellucci; zu den Hintergründen mehr in unserer Rezension zu Siegfried). Waltraute (mit schönem Piano, aber im Forte angetrengt: Nora Gubisch) erscheint wie ein großer Vogel, aber ihre lange Erzählung vom bevorstehenden Ende der Götter steht ohne ein Wissen um das Wesen dieser Götter im leeren Raum. Scott Hendricks gibt bei seinem kurzen Auftritt dem Alberich gespenstische Unheimlichkeit. ![]() Siegfried und die Rheintöchter
Ein paar inhaltliche Leerstellen bleiben, die auch von der überzeugenden Personenregie nicht gefüllt werden können. Dazu gehören Hagens "Mannen", die zepterartige Stäbe in den Händen halten und sich synchron bewegen, was nicht gut gelingt und daher oft unfreiwillig komisch aussieht (Choreographie: Pim Veulings). Gesanglich sind die Herren des Opernchores zum Glück viel akkurater (Einstudierung: Emmanuel Trenque). Ein echtes Trinkhorn als Requisit wirkt reichlich antiquiert. Immer wieder taucht ein riesiger leuchtender Speer auf - eigentlich ein Symbol von Wotans Macht und als solches im dritten Siegfried-Akt bedeutungsschwer zerschlagen. Da bewegt sich die Inszenierung im vornehmlich dekorativen Bereich, immerhin wegen der beeindruckenden Beleuchtung schön anzusehen (Licht: Valerio Tiberi). Was der Untergang der Götter bedeutet, bleibt ebenso offen wie die Frage, wofür diese Götter eigentlich stehen. Am Ende sieht man in erster Linie das Individualdrama von Siegfried und Brünnhilde. ![]() Der Weltenbrand: Brünnhilde, rechts Hagen
Bryan Register singt den Siegfried mit nicht zu hellem, durchsetzungsfähigem Tenor, keine ganz schwere Stimme und nicht allzu charismatisch, aber mit Strahlkraft in der Höhe und auch zu leisen Tönen fähig, ohne an Substanz zu verlieren. Der Star des Abends aber ist (neben dem Hagen von Ain Anger) die Brünnhilde von Ingela Brimberg, die mit leuchtendem, intensivem und immer schön ausgesungenem Sopran beeindruckt. Im bewegenden Schlussmonolog entsagt sie der Welt und überlässt Hagen den Ring. Es ist bei Pierre Audi dann Sache der Rheintöchter, für ein gutes Ende zu sorgen. Zuletzt sieht man wieder Einblendungen der Kinder. Denen mögen wir doch bitte die Welt in einem halbwegs ordentlichen Zustand hinterlassen, so darf man die ein wenig schlichte Botschaft deuten. Und man fragt sich, welche Bilder wohl Romeo Castellucci für dieses Weltende mit Neuanfang gefunden hätte. FAZIT Musikalisch bietet diese hochklassige Götterdämmerung ein furioses Ring-Finale. Pierre Audis schön anzusehende Inszenierung bleibt recht unverbindlich. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Video
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Chor
Dramaturgie
Solisten
Siegfried
Gunther
Alberich
Hagen
Brünnhilde
Gutrune
Waltraute
Erste Norn
Zweite Norn
Dritte Norn
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde
Der Ring in Brüssel:
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