Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Ein Kinderspiel
Von Stefan Schmöe
/
Fotos Monika Rittershaus Plötzliche Trainerwechsel kennt man vom Fußball, aber im Theater? Zur Halbzeit des Ring des Nibelungen hat die Opera La Monnaie den Regisseur der Tetralogie ausgewechselt. Nachdem Romeo Castellucci das Rheingold (mit nackten Menschenmassen) und die Walküre (mit echten Pferden auf der Bühne) ebenso streitbar wie spektakulär in Szene gesetzt hatte, gab das Theater die Trennung bekannt. Die Fortsetzung des ambitionierten Projekts drohte die finanziellen und wohl auch die organisatorischen Möglichkeiten des Hauses zu sprengen. Für die letzten beiden Opern der Tetralogie springt mit Pierre Audi ein ebenso versierter Regisseur wie ausgewiesener Theatermanager ein (Audi leitete die Amsterdamer Oper von 1988 bis 2018 und ist seit 2019 Leiter des Festivals d'Aix-en-Provence). Der will Castelluccis Ansatz nicht fortführen, sondern die letzten beiden Ring-Teile auf menschliches Maß zurechtstutzen. Schließlich gehe es ja in Siegfried und Götterdämmerung um Menschen, so ließ Audi verlauten. Mime (links) und Siegfried
Keine Fortsetzung also, was insofern kaum eine Rolle spielt, als Castelluccis Konzept ohnehin auf große Bilder und kaum auf einen "roten Faden" setzte. Kontinuität wahrt Audi aber darin, dass auch er dem Zyklus keine Interpretation überstülpt, sondern den Ring als zeitlosen Mythos oder hier, im Falle des Siegfried, als Märchen erzählt, ohne einen konkreten historischen oder gegenwärtigen Bezug herzustellen. Wenigstens beinahe, denn Audi zeigt in einer weitgehend abstrakten Welt die Coming-of-Age-Geschichte eines jungen Mannes, der im Gegensatz zu den anderen Akteuren ziemlich normale heutige Kleidung trägt. Der jugendlich anmutende schwedische Tenor Magnus Vigilius ist mit lausbubenhaftem Charme nicht nur szenisch eine Idealbesetzung. Sein ganz leicht eingedunkelter Tenor hat viel Metall in der Stimme, das in der Höhe unangestrengt strahlt. Über die lyrischen Passagen im "Waldweben", der Suche nach Erinnerungsfetzen an die Mutter und dem Sinnieren über die eigene Existenz, singt er allzu unbeschwert hinweg, was die Interpretation der Figur ein wenig verengt, aber der Sturm-und-Drang-Phase der adoleszenten Titelfigur nicht unangemessen ist. Den blitzartigen Reifeprozess vom unbedarften Haudrauf zum feurigen Liebhaber hat man selten so überzeugend gesehen. Wotans Speer schwebt über Siegfried und Mime
Audi inszeniert diesen Handlungsstrang schnörkellos. Statt des Bären, den Siegfried laut Libretto einfängt, senkt sich ein Boxsack herab, auf den der übermütige Halbstarke eindrischt. Das gehört zu den maßvoll platzierten Eingriffen der Regie, die auch das Schwert in dieser abstrakten Märchenwelt ganz selbstverständlich zulässt. Die Schmiedeszenen im ersten Akt sind dabei mehr angedeutet als ausgeführt, jedenfalls mit Blick vom Parkett. Mime und Siegfried agieren meist auf halber Bühnenhöhe hinter einer mit Kupfer beschlagenen Mauer, sodass nur oft die Oberkörper herausschauen - das suggeriert die Ästhetik des Kasperletheaters, was ja durchaus den Charakter der Szene trifft. Peter Hoare singt den Mime mit agilem Tenor und gestaltet den Text sehr genau aus. Er verleiht dem überforderten Schmied musikalisch wie szenisch eine ins Groteske reichende Gefährlichkeit. Sobald Götterchef Wotan als Wanderer - mit langem schwarzen Mantel und breitkrempigem Hut, zudem librettogetreu einäugig - in Erscheinung tritt, senkt sich ein riesiger, leuchtender Speer über die Bühne, nicht als Requisit, sondern als Symbol und visuelles Leitmotiv: So unabhängig, wie Wotan sich das einredet, kann sein Enkel Siegfried eben doch nicht handeln. Das System Wotan ist noch intakt - bis Siegfried im dritten Akt diesen Speer zerschlägt. Wotan und Erda
Gábor Bretz gibt einen noblen, gesanglich schönen und nie forcierenden Wotan. Ein eloquenter, in der Einsicht des Scheiterns durchaus sympathischer Gott, wie er aus der Mode gekommen ist. Weil sein Bariton nicht allzu großformatig ist, fehlt es ihm allerdings an stimmlicher Wucht. Der Alberich ist ihm sehr ähnlich (er unterscheidet sich durch märchenhaft gruselige Finger), auch im Timbre der Stimme. Scott Hendricks hat sängerisch starke Momente, allerdings auch die merkwürdige Angewohnheit, einen völlig anderen Ton als in der Partitur notiert anzusetzen und sich von da auf den richtigen Ton "hochzustemmen" - was mitunter auch misslingt. So bleiben vokal sehr gemischte Eindrücke. Wilhelm Schwinghammer, ein stimmlich solider Drache Fafner, stapft nach dem Kampf mit Siegfried als zottiges Wesen aus der Kulisse, eine schwarze Gummipuppe im Arm - das dürfte doch etwas mehr Größe haben. Für den Waldvogel stellt Audi einen Kinderstatisten im flauschigen Kostüm auf die Bühne - die Sängerin (mit leuchtendem, nicht zu kleinem Sopran tadellos tirilierend: Liv Redpath) läuft unauffällig hinterher. Nora Gubitsch singt eine klangschöne, nicht allzu geheimnisvolle Erda, wobei der Dialog mit Wotan eher zum Disput eines zerstrittenen Paares wird als ein Gedankenaustausch über das Ende der Welt. Siegfried erweckt Brünnhilde
Das alles wickelt Audi erzählerisch souverän und in sich stimmig ab - und liefert damit zuverlässig das ab, was man in Brüssel sicher von ihm erwartet hat. Er gibt dem Spiel einen besonderen Rahmen, indem er vor den ersten Tönen in einer Videosequenz Kinder zeigt, die Szenen aus Siegfried nachspielen. Diese Einfachheit und Unmittelbarkeit überträgt er auf seine Inszenierung, ohne daraus eine Ritter-und-Drachen-Saga zu machen. Das ist einiges wert - und hat seine Grenzen. Castellucci hatte in seinem Entwurf das Theater an die Grenzen des Möglichen gebracht. Das mag man größenwahnsinnig nennen, aber es zielte auf den ganz großen Entwurf ab, den Wagner im Sinn hatte. Der Ring als ein eigentlich unmögliches Theaterereignis, da war Castellucci immerhin nahe dran. Audi kehrt mit dem Siegfried zum gewohnten Stadttheaterformat zurück. Da ändert auch die großformatige Bühnenplastik (Bühnenbild: Michael Simon) nicht viel, die wie eine Kugel aus zerknülltem Blech über der Szene schwebt und (erwartbar) zum abstrakten Drachenkopf wird. Bei der Ankunft Siegfrieds auf dem Brünnhildenfelsen entschwindet diese Skulptur wie ein Meteorit und hinterlässt kleinere ähnliche Körper, im Raum schwebend. Das gibt ein surreal schönes Bild für die Schlussszene mit Brünnhildes Erweckung, monochrom in weißes Licht getaucht. Brünnhilde und Siegfried
Diese Brünnhilde fährt wie eine Statue aus dem Bühnenboden herauf, die Siegfried erst nach und nach zum Leben erweckt. Die Personenregie gibt sich zurückhaltend und vermeidet Peinlichkeiten, wie man sie sonst oft in dieser Szene sieht. Ingela Brimberg trumpft mit nicht zu schwerem, strahlendem Sopran auf und beglaubigt die allmähliche Hingabe an Siegfried auch mit innigen lyrischen Tönen. Alain Altinoglu am Pult des sehr aufmerksamen und differenziert spielenden Orchesters dirigiert den dritten Akt mit symphonischem Impetus, nachdem er in den ersten beiden Akten einen flüssigen, fast kammermusikalischen, sehr farbigen Konversationston anschlägt. So weitet sich das Märchenspiel musikalisch wie szenisch zum Ende hin zum wirklich großen Finale. FAZIT Nach den inszenatorischen Extremfällen des Rheingolds und der Walküre von Romeo Castellucci kehrt mit diesem Siegfried von Pierre Audi Normalität auf der Ring-Bühne ein - mit einer unprätentiösen, nicht unbedingt spektakulären, aber in ihrem Märchengestus überzeugenden Regie und einer sehr starken musikalischen Interpretation. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Dramaturgie
Solisten
Siegfried
Mime
Der Wanderer
Alberich
Fafner
Brünnhilde
Erda
Stimme eines Waldvogels
Der Ring in Brüssel:
|
© 2024 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de