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Wer hat Angst vor Lady M.?
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Alvise Predieri Beginnen wir mit einem Nachruf: Über viele Jahre hinweg hatte die Essener Oper das schönste, markanteste, sinnfälligste Logo aller Theater weit und breit. Darin verband sich die stilisierte Form von Alvar Aaltos 1988 eröffnetem Theaterbau mit dem strahlenden Blau des Zuschauerraums. Ein Design, dass (in Variationen) über alle Intendanzen hinweg für Kontinuität und Selbstbewusstsein stand: Mit dem Aalto-Theater hat Essen sich als Opernstadt etabliert. Nun ist das liebgewonnene Logo verschwunden. Stattdessen werben Theater und Philharmonie jetzt mit kühl-modernen Lettern T und P, zwischen denen für das "und" eine verschnörkelte Schlangenlinie so unglücklich herumirrt, als wisse man nicht so genau, wo man künstlerisch hinwolle. Und das Blau, das gibt es auch nicht mehr. Mit dem neuen Design könnte man passender für Teegebäck werben oder irgendein anderes belangloses Produkt. Aber an große Kunst denken wir da nicht. Macbeth und Banco hören Prophezeiungen, die ihr Leben nachhaltig verändern (und verkürzen) werden.
Nun ist ein ästhetisches Fresh-up auch jenseits der Bühne nicht unüblich, wenn die Intendanz wechselt - was bereits zu Beginn der vorigen Spielzeit geschah. Allerdings musste Merle Fahrholz als Verwalterin eines von ihrem Vorgänger Hein Mulders geplanten, wegen Corona notgedrungen verschobenen Spielplans agieren (darunter immerhin die spektakuläre Uraufführung von Gordon Kampes Dogville). Wirklich erkennbar war eine eigene Handschrift der neuen Hausherrin bislang noch nicht. Insofern lag doch einige Spannung über diese Spielzeiteröffnung mit Verdis Macbeth - keine so wahnsinnig originelle Planung, denn Vorgänger Mulders hatte mit eben diesem Werk vor gerade einmal zehn Jahren sein Amt in Essen angetreten. Jetzt ist die Inszenierung der jungen, wie man so schön sagt: unverbrauchten Regisseurin Emily Hehl anvertraut. Die rückt, so kann man auf ihrer Internetpräsenz wie im Essener Programmheft nachlesen, die "sinnliche und physische Dimension von Musiktheater ins Zentrum". Das klingt reichlich phrasenhaft (wie so manche der "Gedanken zur Inszenierung" im besagten Programmheft), muss aber nicht falsch sein. Macbeth ohne gedanklichen Überbau und im Vertrauen auf die Kraft der Geschichte und Musik zu inszenieren, das könnte überzeugender gelingen als etwa der letztjährige Essener Saisonauftakt mit Paul-Georg Dittrichs überdrehtem Tannhäuser. Nur müsste es dazu besser umgesetzt werden. Macbeth und Gattin mit finsteren Gedanken
Hehl konzentriert sich ganz auf die beiden Hauptrollen, Lord und Lady Macbeth. Die Geschichte drumherum wird notdürftig angedeutet, aber nicht auserzählt. Dazu wird der Chor stark choreographisch und oft auch skulptural eingesetzt oder friert zu Standbildern ein. Ob damit Geistererscheinungen, königliches Gefolge oder das geknechtete Volk dargestellt werden, bleibt im Grunde unerheblich. Die Kostüme (Emma Sophie Gaudiano, Frank Philipp Schlössmann) wechseln zwischen altschottischen Fantasietrachten, buddhistischen Kutten und weißen Druidenpriesterinnenkleidern samt Sicheln, die bei irgendeiner Norma-Produktion übriggeblieben sein müssen. Die Regie fügt stumme, getanzte Figuren ein, leiht sich ein paar Tänzerinnen beim Aalto-Ballett aus, lässt diese wie den Chor heftig mit den Armen fuchteln oder die Köpfe schütteln und veranlasst überhaupt vieles Ermüdende, an dem man sich schnell sattgesehen hat (Choreographie: Agata und Teodora Castellucci vom Performancekollektiv Dewey Dell). Man ahnt, dass hier alles Bedeutung haben soll - und ist schnell an dem Punkt angelangt, dass einem das ziemlich egal ist. Boshaft könnte man sagen: Manches sieht so aus wie beim Eurythmieworkshop der örtlichen Waldorfschule (die sich mit Recht gegen eine solche Unterstellung wehren würde). Und zuckende Darsteller unter schwarzen Tüchern haben ähnliche Wirkung wie ein Gespensterspiel auf einem Kindergeburtstag. Bei allem Firlefanz auf der Bühne, von dem es wahrlich viel gibt: Sinnlich oder gar physisch erfahrbar wird dadurch denkbar wenig. Kunstvoll arrangierter Chor
Solange das mordende Ehepaar auf der Bühne ist, geht das Konzept mit einigem guten Willen noch leidlich, wenn auch allzu harmlos, auf. Aber es gibt eben auch Arien des Banco und Macduff, und der Chor wird zu Beginn des vierten Aktes mit dem Gesang der Vertriebenen ("patria opressa") zum eigenständigen Akteur - und diese Nummern laufen ins Leere, wenn sich alles nur um die Befindlichkeiten von Lord und Lady Macbeth dreht. Emily Hehl findet keine plausible Lösung dafür, wie sie mit diesen Momenten umgeht, und auch dadurch erhält die Regie eine allzu große Unschärfe. Die dramatische Bankettszene am Ende des zweiten Aufzugs, in der Macbeth der Geist des ermordeten Banco erscheint, verpufft. Die Oper verliert schnell ihren Spannungsbogen. Und wenn es um Ängste geht, müsste das böse Herrscherpaar diese doch irgendwie zum Ausdruck bringen - aber sowohl Massimo Cavalletti als Macbeth als auch Astrik Khanamiryan als Lady Macbeth kommen selten über konventionelle Gestik mit gen Himmel erhobenen Armen oder schwankendem Blick hinaus. Da fehlt es der Regie an Präzision - und auch an Gespür, was gerade wichtig ist. So siegt bald die Langeweile. Die Regisseuriun spricht angesichts dieses Bühnenbildes von "Häutungen"
Man kann sich notdürftig an der Farbsymbolik entlanghangeln. Die ersten beiden Akte sind Nachtstücke in Schwarz, im dritten und vierten dagegen dominiert ein ins cremefarbene changierende Weiß. Das Licht, so ist im Programmheft nachzulesen, ist die eigentliche Gefahr: "Sehen müssen, was man getan hat, sich mit den eigenen Handlungen zu konfrontieren, scheuen Macbeth und seine Lady am meisten." Dazu hängen Tücher mit fleischfarbenen Bildausschnitten (die an die Kunst Francis Bacons erinnern) herab - da spricht die Regisseurin von "Häutungen". Die vermeintliche Sinnlichkeit der Inszenierungen benötigt ziemlich viele Erläuterungen. Nebenbei: Wie man Macbeth tatsächlich "sinnlich und physisch", dabei sehr viel stringenter und packender, inszenieren kann, konnte man in Michael Thalheimers Version an der Rheinoper in Düsseldorf und Duisburg erleben. Anders kunstvoll arrangierter Chor
Szenisch also verpufft die Regie ähnlich beliebig und belanglos wie das neue Theaterlogo. Musikalisch durfte man gespannt sein auf das erste Dirigat von Andrea Sanguineti in seiner Funktion als Generalmusikdirektor - wobei der ja bereits einige Produktion am Aalto-Theater geleitet hat wie Dido and Aeneas, Don Carlo oder Lucrezia Borgia. Als Chef hat er ganz offensichtlich gründlich mit dem Orchester gearbeitet - so schön, so differenziert in den Klangfarben und sorgfältig in den Phrasierungen haben die Essener Philharmoniker lange nicht mehr geklungen. Man kann diese Oper sicher schroffer, der dramatischen Wirkung wegen stellenweise "hässlicher" dirigieren - hier klingt manches eine Spur zu edel. An dunklen Farben wie an dramatischem Furor bleibt Sanguineti der Partitur aber nichts schuldig, kann sich in den langsamen Passagen aber in allzu großer Melancholie und Statik verlieren. Gespielt wird die zweite, für die Pariser Oper erstellte Fassung von 1865 mit der in Paris obligatorischen Ballettmusik, die nicht nur die Geschichte übermäßig verlangsamt, sondern hier auch noch erschreckend hilflos choreographiert ist. Weglassen wäre hier sicher die überzeugendere Lösung gewesen. Trotzdem: Große Musik aus dem Orchestergraben, der Massimo Cavaletti als Macbeth einen in der Mittellage eindrucksvoll großformatigen, in der Höhe etwas enge Bariton entgegensetzt, aber alles in allem der Figur eine eher konventionelle, aber hinreichend tragische Kontur verleiht. Astrik Khanamiryan hat für die Lady eine schöne, recht lyrische Stimme, mitunter durch etwas ungenaues Vibrato unscharf in der Tonhöhe; ihr fehlt es aber entschieden an dramatischer Attacke - ihre Lady klingt eher nach Bellinis netter Schlafwandlerin als nach Verdis machtbesessener Verbrecherin. Alejandro del Angel ist ein eindrucksvoller Macduff, Sebastian Pilgrim ein düsterer, etwas mulmig klingender Banco. Großartig mit vollem Klang singt der Opernchor (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot).
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Macbeth
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