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Der Schock der ersten großen Liebe
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Jochen Quast
Wien, in den ersten Jahren der Regierungszeit Maria Theresias. So steht's im Libretto. Wobei es dieses Wien so natürlich nie gegeben hat, schon weil der Wiener Walzer, mit dem Richard Strauss es unterlegt, erst im Jahrhundert darauf erfunden wurde. Das Wien, das sich Librettist Hugo von Hofmannsthal hochartifiziell zusammenbastelt, ist offensichtlich eine Fiktion. Und eine so zuckersüße, thematisch wie musikalisch, dass es den Theatern oft Angst und Bange macht. Nostalgie! Ein musikalischer Rückschritt nach der harmonisch radikalen Elektra! Und vor allem: Kitsch! lauten die üblichen Vorwürfe. Regisseur Michael Wallner, 1958 in Graz geboren, verteidigt im Programmheft die Oper vehement: "Der Rosenkavalier ist ewig. Das Ewige ist niemals rückwärtsgewandt." Wichtiger aber: Er nimmt den Text und Musik ernst und inszeniert vieles in der Oper ganz einfach so, wie es im Libretto steht - die vielen Zwischentöne und Schattierungen eingeschlossen.
Baron Ochs (Mitte) interessiert sich für die vermeintliche Kammerzofe Mariandl, eigentlich der auf die Schnelle verkleidete Octavian
An Rosenkavalier-Produktionen ist kein Mangel. Wobei der Eindruck bleibt, dass die Regieteams im Kampf gegen das (allzu) Schöne die Geschichte modernisieren und dekonstruieren, was das Zeug hält, ob zuletzt in Mainz, Kiel, Leipzig oder Paris. Wallner dagegen lässt die großen Gefühle ebenso zu wie die große historische Kulisse - und macht doch immer wieder deutlich, dass es sich um nichts anderes als Theater handelt, um eine "Wienerische Maskerad'", wie es im Text heißt. Im Team mit Stefan Rieckhoff (Bühne) und Tanja Liebermann (Kostüme) bedient er sich kräftig der Mittel des Barocktheaters, sei es in den gestaffelten gemalten Prospekten oder den liebevoll übertriebenen Perücken. Aber regelmäßig treten die Figuren aus diesem Rahmen heraus und lassen die heutigen Menschen darunter - oder anders gesagt: die zeitlose Aktualität des Werkes - sichtbar werden, ohne dass es zum Bruch käme. Hinzu kommen raffinierte Projektionen auf einen Vorhang im Hintergrund, Rokoko-Säle für die Häuser der Marschallin und Faninals mit verblüffender Tiefenwirkung, die durch plötzlichen Beleuchtungswechsel (Licht: Falk Hampel) aus dem großen Format ein Kammerspiel macht. Aber auch das Wien des 19. Jahrhunderts leuchtet auf - und der Prater des 20. oder 21. mit dem Riesenrad im dritten Aufzug. Damit wird unaufdringlich der Epochenwechsel, um den es ja auch geht, angedeutet. Und für das junge Liebespaar gibt es, das ist vielleicht doch ein wenig viel, den Sternenhimmel als astronomisches Foto. Der Schock der ersten richtigen Liebe wird zum geradezu kosmischen Ereignis.
Ochs und die Marschallin
Fabelhaft ausgearbeitet ist die feine, sehr genaue, psychologisch schlüssige Personenregie. Es sind kleine Gesten, die große Wirkung haben. Das Ende der Liaison von Marschallin und dem jungen Octavian kündigt sich früh durch winzige Gesten der Verstimmung an, ein plötzliches Abrücken etwa. Evmorfia Metaxaki gestaltet eine auch stimmlich junge, attraktive Marschallin und weniger die altersweise Fürstin. Ihrem Monolog fehlt es ein wenig an Abgeklärtheit, der Stimme an aristokratischer Würde, dafür bringt sie viel Energie und Emotionen ein. Der Verzicht im Finale fällt ihr nicht leicht. Man merkt den Entwicklungsprozess einer selbstbewussten Frau, die sich bis dahin ihrer Liebhaber wohl sicher sein konnte. Frederike Schulten singt und spielt einen draufgängerischen Octavian, recht hell timbriert, als angebliche Kammerzofe Mariandl mit dem richtigen Maß an Karikatur. Und auch hier spürt man die Entwicklung der Figur, die, gerade noch mit einer fast doppelt so alten Frau im Bett und also in erotischen Dingen nicht gänzlich unerfahren, geradezu erschrickt vor dem plötzlichen Verliebtsein in Sophie. Es ist anrührend dargestellt, wie vorsichtig und zaghaft, ja schüchtern sich die beiden im Finale nähern. Dabei legt Karola Sophia Schmid die Sophie als ziemlich selbstbewusstes, fast kratzbürstiges Mädchen an. Ihren Sopran forciert sie mitunter, wodurch die Stimme angestrengt klingt, hat aber für die Rosenübergabe und die Duette im Finale auch in höchster Lage ein betörendes, intensives Pianissimo.
Aufruhr nach der Überreichung der silbernen Rose: Vorn (von links) Ochs, Octavian, Faninal und Sophie, dahinter die Intriganten Annina und Valzacchi
Selten kommt der Ochs so gut weg wie hier. Johannes Maria Wimmer singt ihn liedhaft und überhaupt nicht poltrig und spielt ihn mit beinahe liebenswerter Eleganz, immer mit einer Prise Tollpatschigkeit verbunden. Im Grunde ist dieser Mann ein armer Trottel, der die Zeitläufte und damit seine Lage nicht richtig einschätzt und der tatsächlich glaubt, für Sophie eine gute Partie zu sein. Und wenn er in der Vorstadtkneipe, dem Beisl, das vermeintliche Mariandl (in Wahrheit der verkleidete Octavian, der den Skandal provozieren will), zu verführen versucht, dann nimmt man ihm ab, das "Mädchen" vor dem Zugriff der Polizei wie der neugierigen Öffentlichkeit schützen zu wollen. In der Fassungslosigkeit, mit der nach und nach sein Scheitern realisiert, hat man beinahe Mitgefühl mit ihm. Diese Liebe zu jeder einzelnen Figur, ganz im Geiste Mozarts, zeichnet die Inszenierung aus. Das Lübecker Ensemble setzt das durchweg mit großer Präzision um.
Schlussterzett im Prater: Sophie, die Marschallin und Octavian
Steffen Kubach singt einen trompetenhaft dröhnenden Faninal, Franz Gürtelschmied schlägt sich mit schlanker Stimme achtbar in der undankbaren Rolle des italienischen Sängers und zeigt große Präsenz in der Rolle des Wirts. Andrea Stadel und Noah Schaul geben ein ausgezeichnetes Intrigantenpaar Annina und Valzacchi ab, das - wie die zur Faschingsparty umgedeuteten Spukerscheinungen im dritten Aufzug - zur bunten Welt des Theaters, also letztendlich zum Dekor, gehört. Das sehr konzentrierte Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck begleitet sensibel mit einer ausgewogenen Mischung aus Parlandoton und symphonischem Zugang und dem richtigen Maß an Schmäh für die Walzer. Dirigent Stefan Vladar geht genau auf die Gefühlsregungen der Figuren ein. Für den letzten Teil des ersten Aufzugs könnte er sich noch mehr Zeit nehmen (die zerbrechlich leisen Schlusstakte gelingen aber ganz ausgezeichnet). Die Rosenübergabe dirigiert er im straffen Tempo mit Sinn für die unwirkliche Harmonik der hereintropfenden Celesta-Akkorde, das Schlussterzett lässt er sehr langsam beginnen und führt es dann zur großen Steigerung. Er gesteht der Musik Pathos zu, wird aber nicht sentimental. Langanhaltender Beifall, nicht nur für den Dirigenten.
Der schönste und berührendste Rosenkavalier seit langem: Michael Wallner vertraut den Qualitäten und der Psychologie des Werkes und setzt es mit einem sehr guten Ensemble als prächtiges (Barock-)Theater mit kleinen, intelligenten Brüchen in Szene. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Die Feldmarschallin
Der Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie, seiner Tochter
Jungfer Marianne Leitmetzerin
Valzacchi, ein Intrigant
Annina, seine Begleiterin
Ein Polizeikommissar
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin /
Ein Notar
Ein Sänger / Ein Wirt
Drei adelige Waisen
Eine Modistin
Ein Tierhändler
Vier Lakeien der Marschallin
Ein Hausknecht
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